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Dua Lipa ist verliebt. Und hat das Disco-Genre für sich entdeckt. Eine Kombination die im Jahr 2020 zunächst altbacken wirken mag, sich aber schnell als durchaus geeignet für Zeiten in und abseits der Corona-Monate darstellt.
Future Nostalgia eröffnet das gleichnamige 37 Minuten, elf Lieder umfassende Zweitwerk der 24-jährigen Neo-Disco-Queen. Ein von Funk sprühender Opener mit der wegweisenden Zeile „You want the recipe, but can’t handle my sound“ – das Raumschiff nimmt in den Tiefen des Popuniversums diesmal nicht die gewohnte Strecke sondern biegt in fast vergessene Gebiete vor. Nächster Halt, next stop – Discofunk.
Mit „Don’t Start Now“ zeigt Lipa ihre philanthropische Seite. Der Refrain zum globalen Charterfolg passt haargenau in das Quarantäne-Zeitalter (Don’t show up, don’t come out, Don’t start caring about me now, Walk away, you know how, Don’t start caring about me now). Generell seit Release im November hypererfolgreich und mittlerweile für diverse Nachmittagssendungen im Privatfernsehen misshandelt, besticht die Nummer durch den eingängigen Bass und das Gefühl oder den Drang, sich auf die doch einmal auf die sehr alten vierrädrigen Rollschuhe zu begeben. Eine Hommage an das Leben nach einer Trennung.
“Cool” brennt sich praktisch von der ersten Sekunde im Ohr fest. Futuristisch, perfekte Melodie, der Bass, die Claps – ich denk auch, dass wir für den Sommer bereit sind. Vermutlich auch einer der wenigen neuen Songs, der schon am Debüt-Album Platz gehabt hätte.
„Physical“ die Scheibe für die eine bestimme Jeans-Marke wohl für ewig dankbar sein wird, hat Lipa doch die gesamte Kollektion im ersten von zwei Musikvideos vorgestellt. Im zweiten Video gab’s dann eine Workout-Session im Aerobic-Design. Ja, geht’s jetzt ums Workout oder doch um Sex? Einigen wir uns auf ein Unentschieden. Synth-Pop mit ein wenig Abba-Gedächtnis-Pfeifen.
„Levitating“ – you want me, I want you baby. Ein Song der Menschen wohl tanzen lässt, ich kann dazu nicht viel sagen und bleibe dem notorischen Nichttänzertum treu. Im Grunde genommen eine Nummer, dessen Musikvideo in einer Post-Blues Brothers-Produktion spielen sollte. Alle Menschen auf der Straße mit einer anständigen Choreografie. Schwebend geht’s durch die Hook, ein wirklich schön aufgebauter Song. Allerdings lässt mich der Ausdruck „Sugar-Boo“ ein wenig cringen.
Nach sechs Songs im Uptempo, lässt uns Dua dann mit „Pretty Please“ zum ersten Mal durchatmen. Sehr minimalistisch. Zwischendurch vielleicht ein bisschen langweilig, aber es wird besser. Es wird funky. Es wird anrüchig. Es gibt einen Hauch von Glockenspiel. Und natürlich – wie sollte es anders sein – geht es um Sex.
„Hallucinate“ ist der Song den sie am Ende von erfolgreich über die Bühne gebrachten Sportveranstaltungen im Outro einspielen. Eine Tanznummer mit Potential zur Sommer-Hymne zu werden. Aber erst wenn man den Pre-Chorus erst wieder ausleben darf (No, I couldn’t live without your touch, No, I could never have too much, I’ll breathe you in forever and ever, Hallucinate). Derzeit nur sehr schwer zu bewältigen.
Jeder, wirklich jeder der zum ersten Mal „Love Again“ hört, kann den Song mitsingen. Ein Trennungssong, unglaublich simpel aber catchy aufgebaut mit weiteren Abba-Vibes. Der Chorus ist vielleicht ein wenig eintönig, der Rest funktioniert aber hervorragend: Wir haben Streicher, wir haben einen ganz kleinen Background-Chor und bekommen einen ordentlichen Refrain samt brauchbarer Bridge. Ein hoffnungsvoller Trennungssong.
Daft-Punk-Vibes bestimmen „Break My Heart“. Das ständige Dilemma sich in denjenigen zu verlieben, der einem auch das Herz brechen kann – anders wär’s ja auch keine echte Liebe. Auch hier eine Corona-Referenz, diesmal aber als Ratschlag zu verstehen (I would’ve stayed at home, ‚Cause I was doing better alone, But when you said, „Hello“, I knew that was the end of it all) – man sollte zu Hause bleiben.
Kommen wir zur schwierigsten Nummer des Albums: „Good In Bed“. Von der Hinführung bis zum Chorus ein durchaus nerviges Thema, mit bad/sad/mad-Reimen. Ein Song auf den man gut und gerne verzichten hätte können.
Abgeschlossen wird die Raumfahrt mit der Single „Boys Will Be Boys“ – eine Hymne über Frauenpower. ‚If you’re offended by this song, You’re clearly doing something wrong‘ mit der Conclusio ‘Boys will be boys, but girls will be woman’. Der Song passt nicht gut in das Gesamtwerk, hier fehlt wirklich jeglicher Funk. Die Intention und das Bedürfnis dahinter sind aber wichtiger als musikalische Vorlieben.
Insgesamt hat Dua Lipa mit Future Nostalgia eines der besten Pop-Alben der vergangenen Jahre auf den Markt gezaubert. Lebensfroh, funky, witzig und für Menschen die gerne tanzen vermutlich gefundenes Fressen. Die Weiterentwicklung vom Erstlingswerk hin zur neuen Platte ist unübersehbar, seichter Pop wurde abgelöst. Gäbe es die zwei letzten Songs nicht, könnte Future Nostalgia in die Höhen der Letztwerke von Charli XCX aufsteigen. Dafür hat’s nicht ganz gereicht, was aber nicht weiter belasten soll.
Früher Sängerknabe, heute zwischen Fußball, Football und viel Musik. Im Herzen immer Punker.