© Polyvinyl Records / Christine Mackie
Jeff Rosenstock bringt mit seinem vierten Album NO DREAM eine ordentliche Portion Pop-Punk, Kritik und Selbstzweifel auf den Markt.
Zeit
13 Songs, 40 Minuten, eine Richtung – in die Fresse. Jeff Rosenstock will nicht lange um den heißen Brei herum reden, er dürfte den Brei nicht einmal aufsetzen, sondern einfach direkt zum Nachtisch gehen. Wohltuend in den schnellen Zeiten, die sowohl Generation Y als auch Z an den Rand des Wahnsinns treiben kann.
Zeit stellt auch wenig überraschend auch das zentrale Thema des 54 Sekunden langen Openers NO TIME dar. I didn’t have the time wird über diese wunderschön lauten, harmonischen E-Gitarren immer und immer wiederholt. So wenig Zeit, dass er auch den Song nicht länger schreiben konnte. Er bricht ab und geht sofort zu Nikes (Alt) über. Nach einer Minute werden schon die ersten Green Day-Vibes angespült. Auf der Suche nach Glückseligkeit scheitert Rosenstock auf voller Linie, jeder Traum hat die Tendenz zum Albtraum zu werden. Er ist abgelenkt von den Dingen die die Gesellschaft liebt und will mitmachen. Also googelt er nach ein paar Nikes, Statussymbol einer Generation, nur um draufzukommen, dass das mit dem glücklich sein doch nicht so einfach funktioniert. Es gibt sie eben nicht, die gespielte Glückseligkeit. Die Zeit rennt ihm davon.
Es wird persönlich
Scram! hat das Potential eine Hymne für all jene zu werden, die zum ersten Mal mit Punk in Berührung kommen. Rosenstock spricht jedem (Alt-)Punker aus der Seele, wenn er im Refrain immer und wieder, fast schon mantraartig ‘Don’t you want to go away?‘ wiederholt. Leute die einem Lebensweisheiten auf Basis ihrer eigenen Privilegien geben, sind ihm ein Dorn im Auge. Musikalisch ist Scram! zunächst vermeintlich ruhig und eintönig. Die Stärke liegt im Genre: Pop-Punk aus den USA hat einen eigenen Stil und eine eigene Dynamik. Macht es den Sound also austauschbar? Mitnichten, der Sänger macht den Unterschied, Rosenstocks Energie kann man nicht einfach so kopieren.
In N O D R E A M wird es offensichtlich politisch. Rosenstock prangert die aktuelle Regierung Donald Trumps an und den Kapitalismus im Gesamten. Es ist eben kein einfacher Traum in dem wir uns befinden.
The only framework capitalism can thrive in is dystopia
Fuck all the fakers acting like they’re interested in hearing us
When we yell, “Hold accountable the architects of hopelessness and never ending violence”
They’ll be like, “Whatever, idiot” and fuel their brand of power
Incorruptible like it exists
Saintly fronts in a system that rewards only the greediest
The only endgame for capitalism is dystopia
And we know all about it but we just don’t know what to do
Die Nummer entwickelt sich von einem sehr ruhigen, zu einem sehr emotionsgeladenen und lauten Song, der mit vielen Elementen die Stimmung des Sängers unterstützt. Eine Marschtrommel, ein wildes Chaos, das gegen Ende ausbricht. Ein Song, der stark an die ersten Platten der Street Dogs erinnert.
In State Line bleibt Rosenstock persönlich, erzählt von Angstzuständen und dem Drang, jemand anders oder zumindest ‘normal’ zu sein. Für diesen Song könnte sich Rosenstock mit den frühen Beatsteaks zusammengetan haben, ohne weiteres könnte man das Lied auf deren zweiten Album Launched finden.
Verbrenn alles
Die negativen Auswirkungen des Ruhms sind längst bekannt – dazu reicht ein einfacher Blick auf die Biografie sämtlicher ehemaliger Kinderstars. Rosenstock war zwar in jungen Jahren kein Schauspieler, hat aber auch seine Probleme mit dem öffentlichen Leben. In f a m e macht er deshalb ein für alle mal klar: Ihr könnt alles haben, alle Trophäen und jede Anerkennung, aber ihr werdet mich nicht kontrollieren können. Ein starker, auch düsterer Song.
Die Liebe kommt auf NO DREAM auch nicht zu kurz. Rosenstock zeichnet in Leave It In The Sun eine sehr einfache aber auch schöne Metapher einer gescheiterten Liebe. Leg es in die Sonne und schau der Sache beim Schmelzen zu. Hier gewinnen sämtliche drei Akkorde wieder einmal, ein Song der vom Pubertierenden bis zum Altpunker Hörer finden wird. The hardest part of growing up is letting go – stimmt einfach.
The Beauty of Breathing gibt einen weiteren Einblick in Rosenstocks Psyche. Die Tage an denen alles zu viel ist, man am liebsten niemanden sehen will, aber trotzdem vor die Tür geht, in der Hoffnung, dass alles besser wird. Auf Meditations-Apps als Ratschlägen von Freunden kann er verzichten, die Angst verletzt zu werden und für immer abgestumpft zu bleiben begleitet ihn jeden Tag. All das wird mit einem eingängigen Riff und einem klassischen Green Day-Chor untermalt. Wenn schon leiden, dann zumindest mit Stil.
Wann wird das besser?
Eine akustische Gitarre, zwei Strophen, ein eigenes Singschema – und schon hat Rosenstock den perfekten Einstieg in Old Crap geliefert. Immer noch unglücklich verliebt, immer noch von den Fragen des Lebens überfordert, wird er langsam müde: ‘Yeah, I’m tired of the truth – Yeah, I’m tired and I’m through’.
*** BNB ist zunächst nichts anderes als ein schöner Pop-Song über die Auswüchse eines Online-Portals für Buchung und Vermietung von Unterkünften. Im weiteren Verlauf offenbart Rosenstock aber seine Gedanken. Gebeutelt von all den Angstzuständen und seiner Depression, stellt er sich ein Leben in Normalität vor, wo man einfach nur durch verschiedene Fotoalben in fremden Unterkünften blättert. Die Seele baumeln lassen beim Städte-Urlaub.
Irgendwann muss aber auch wieder Freude kommen: In Monday At The Beach ist es dann auch wirklich so weit und 57 Sekunden Spaß am Strand folgen. Sofern das Wetter hält, hier legt sich Rosenstock fest. Mit Honeymoon Ashtray und Ohio Tpke schließt er sein viertes Album ab. Heimkommen wird noch einmal behandelt, in einer enorm eingängigen Form. Heimkommen an den Ort an dem man sich wohl fühlt, zu der Person die man liebt.
Jeff Rosenstock zeigt auf NO DREAM seine persönlichste Seite. Die 40 Minuten fühlen sich aber nicht wie ein Emo-Album oder dergleichen an, sondern sind in sich ein gelungenes Werk eines Künstlers, der hoffentlich ein wenig innere Ruhe und Seelenfrieden gefunden hat.
Früher Sängerknabe, heute zwischen Fußball, Football und viel Musik. Im Herzen immer Punker.