© Olof Grind
Als Phoebe Bridgers genau heute vor einem Jahr ihr zweites Studio-Album Punisher veröffentlichte, lag wie heute Aufbruchstimmung in der Luft. Von Euphorie hörte man in ihrem Sound dennoch wenig. Ein Rückblick auf ein Album, das für immer perfekt sein wird.
Aufmerksame Leser dieses kleinen Blogs werden sich nach Veröffentlichung unserer Top Alben des Jahres 2020 vielleicht gewundert haben: da steht mit Phoebe Bridgers‘ Punisher ein Album an der Spitze der Jahresbestenliste und es gibt keine Rezension dazu. Nein, die Suchfunktion auf Pandroid.at funktioniert hoffentlich einwandfrei – es existiert tatsächlich kein Text über dieses feine Musikwerk.
Ich muss zugeben, ich habe Punisher erst relativ spät entdeckt. Monate nach erscheinen und gerade mitten in einer dunklen Lebensphase hat es mich gepackt, bekommen und nicht mehr losgelassen. Als die ersten Töne des Openers DVD Menu erklangen, wollte ich auch schon wieder abdrehen, zu groß war der Respekt der düsteren Stimmung gepaart mit meiner eigenen Depression. Aber ich ließ es laufen. Und fand eine Art Befreiung.
Phoebe Bridgers gehört zu jenen Musikerinnen, die man mittlerweile zur neuen Generation von Singer-Songwritterinen zählt, die sich kein Blatt vor den Mund nehmen. Sie schreiben aus dem Leben heraus, verarbeiten ihre eigenen – psychischen – Probleme in ihrer Musik. So weit, so altbekannt. Zusammen mit Lucy Dacus und Julien Baker gründete sie 2018 die Supergroup Boygenius, die in ihrer Harmonie nur von ganzen wenigen Musiker:innen übertroffen werden können. Auch auf Punisher mischen Dacus und Baker mit, auf Graceland Too, einem Song den Phoebe offenbar für Baker geschrieben hat, geben sie die Hintergrund-Stimmen. Verletzlich, ehrlich, schonungslos offen.
Stimmung > Komplexität
Punisher ist kein Rock-Album, zumindest keines im herkömmlichen Sinn. Auch wenn die Lead-Single Kyoto mit ordentlich Krawall daherkommt, sind laute Töne eher die Ausnahme, als die Regel. Nur im famosen Closer I Know The End regiert ebenfalls das laute, koordinierte Chaos im Schatten des Weltuntergangs. Die restlichen Songs gehen gemütlicher mit den Hörern um, verlieren aber durch ihre vermeintliche Stille nichts an Gewalt. Im Gegenteil.
Damals, in der kleinen Replik der Top-Alben, habe ich der – einmal von meinem Dauerschleife-Kollegen Johannes Pressler unterstellten – Eintönigkeit Punishers schnell den Riegel vorgeschoben:
Das Skelett-Outfit gehört zum Must-Have eines Bridgers-Auftritts. Selbst bei den diesjährigen Grammys wählte sie die bekannte Robe. Punisher war dort viermal nominiert, ging aber ob der großen Konkurrenz (hauptsächliche Fiona Apple) leer aus. Phoebe nahm es mit Humor, forderte zwischenzeitlich auf Twitter auf, die Zählung zu stoppen und lichtete sich später mit ihren erhaltenen Trophäen ab.
Aliens, Mond, Gemüse
Chinesische Satelliten werden auf Punisher ebenso besungen, wie Halloween, Vögel, ihre kalifornische Heimat oder Krankenhäuser. Letztere hasst sie ganz besonders, was sie zu einer bitterbösen Eröffnung hinreißen lässt: “I hate living by the hospital / The sirens go all night / I used to joke that if they woke you up / Somebody better be dying.” In ICU erzählt sie von der gescheiterten Beziehung zu ihrem Drummer und erklärt ihm, wie sehr sie seine Mutter ablehnt: “I hate your mom / I hate it when she opens her mouth / It’s amazing to me / How much you can say / When you don’t know what you’re talking about“.
Es sind diese Zeilen, die einen klassischen Phoebe Bridgers-Song ausmachen. Sie trifft Nerven, lässt schmunzeln, gleichzeitig ein wenig träumen und schwelgen. Das große Finale des Albums hat sie in der legendären amerikanischen Show Saturday Night Live eindrucksvoll in Szene gesetzt:
Phoebe Bridgers ist seit Punisher in ungewohnte Höhen aufgestiegen. Phoebe Waller-Bridge hat ein Video mit ihr aufgenommen (Savior Complex), die Grammy-Nominierungen haben sie über die Indie-Szene bekannt gemacht.
Nicht allein
Die Art und Weise ihrer Erzählungen hilft Menschen, vor allem jenen mit psychischen Erkrankungen. I’ve been playing dead / My whole life / And I get this feeling / Whenever I feel good / It’ll be the last time ist die vermutlich treffendste Strophe die ich in den vergangenen Jahren gehört habe. Das klingt schlimm und kann es mitunter auch sein. Den Fehler Punisher als depressives Album im Sinne von Nirvana oder anderen Grunge- & Emo-Bands zu verstehen, darf man aber nicht machen. Es ist ein Werk voller Hoffnung, voller Lebendigkeit und Leben, das im ein oder anderen Hörer auch wieder den Funken Freude überspringen lassen kann.
Früher Sängerknabe, heute zwischen Fußball, Football und viel Musik. Im Herzen immer Punker.