Concord Jazz
Das schöne am Mercury Prize ist ja, dass hier tatsächlich keinerlei Rücksicht auf Genres genommen wird. Verkaufszahlen spielen ebenso wenig eine große Rolle. Die beste Musik des britischen Jahres soll ausgezeichnet werden: Nubya Garcia, der neue Stern der wiedergeborenen Londoner Jazz-Szene.
Jazz – die Musikrichtung für Intellektuelle die sich an sämtlichen Verdi-Opern abgehört haben. Ein Genre, dass zu Unrecht in die Vergangenheit abgestempelt wird. Auch in den 2020ern funktionieren die Trompeten, Drums, Klavier und der Bass hervorragend. In Nubyas Fall dreht sich sehr viel um das Saxophon, besser gesagt das Tenor-Saxophon. Wo andere Musikerinnen gerne singen und so ihr inneres Seelenleben beschreiben und verarbeiten wollen, macht Nubya das mit ihrem Instrument und ihrer Band. Eine erste zusammenhängende Sammlung ihrer Songs erschien vergangenen August, also vor knapp einem Jahr unter dem Titel Source. Dieses Album ist auch für den Mercury Prize nominiert.
Neun Stücke mit einer Laufdauer von einer Stunde. Und es ist nur fair, wenn wir hier von Stücken sprechen, diese Musik mit „herkömmlicher“ zu vergleichen wäre ein wenig uncool. Auch wenn nur selten gesungen wird, kann man in Nubyas Musik lesen und sie verstehen. Sie drückt ihr innerstes Seelenleben ihrer 30 Jahre auf diesem Planet mit ihrem Saxophon-Spiel aus. Eine Reise zu ihren südamerikanischen Wurzeln, gleichzeitig aber auch ein Kennenlernen mit den Untergrund-Ecken Londons.
Herausragend – und das bleibt das einzige Wort, das einem dazu einfällt – ist ihre Chemie mit ihrer Band. Sam Jones, der Drummer, versteht es mit einer enorm sensiblen Art auf jede Stimmungsänderung einzugehen. Er beweist, dass das Schlagzeug mehr sein kann, als nur sturer Taktgeber. Ähnlich verhält es sich mit Joe Armon-Jones, dem Keyboarder, der nicht nur die Themen unterstützt, sondern vor allem als Pacemaker im Zusammenspiel mit Jones‘ Schlagzeug überzeugt und ohnehin komplett durchdreht, wenn er von der Leine gelassen wird.
Sie spielen Dub, Reggae, Cumbia und nie gegeneinander. Nubya versucht gar nicht sich in Szene zu setzen oder der große Star ihrer eigenen Band zu sein. Das Kollektiv steht im Mittelpunkt und die Sache – die Musik – über allem. Das macht Freude, das berührt und dürfte auch jene ansprechen, die bisher noch wenig mit Jazz am Hut haben oder hatten.
Das wunderbare an diesem Album ist die Entwicklung und das ständige Entdecken von neuen Ecken und Facetten bei jedem Hördurchlauf. Und natürlich – live ist das alles noch einmal eine ganz andere Liga. Dass man Source für den Mercury Prize nominiert, darf man begrüßen. Eine Platte nominiert für einen Preis, der sich selbst keine Grenzen setzt. Eine Platte, die selbst ohne Lyrics sehr viel lyrisches enthält. Ob Source schlussendlich gewinnt? Vermutlich nicht, aber als Türöffner für Menschen die dem virtuosen improvisieren bisher nicht viel abgewinnen konnten absolut optimal.
4/5 Pandroids
Früher Sängerknabe, heute zwischen Fußball, Football und viel Musik. Im Herzen immer Punker.