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Billie Eilish – einer der größten Popstars unserer Zeit und Ikone der Generation Z. Mit gerade einmal 19 Jahren bringt sie das Internet regelmäßig an den Rand des Zusammenbruchs, sei es weil sie ihre Haarfarbe ändert oder ihren Körper zeigt. Ein normales Teenager-Leben konnte Billie in den vergangenen Jahren nicht führen. Nach dem enormen Erfolg ihres ersten Albums When We All Fall Asleep, Where Do We Go samt sieben Grammy-Awards liegt der Verdacht nahe, dass die junge Künstlerin unter dem enormen Erfolgsdruck leidet, leiden muss. Ihr zweites Album „Happier Than Ever“ handelt von ihren jüngsten Erfahrungen, von Liebe, Missbrauch, den Schattenseiten des Ruhms. Dabei stellt sich gleich einen neuen Rekord auf Apple Music auf – kein Album wurde bisher öfter vorgespeichert als Happier Than Ever ~ 1.028 Millionen mal. Ob am Ende auch noch was Versöhnliches rausschaut – dem gehen wir jetzt ein wenig näher auf die Spur.
Wenn es eine Antithese zum Bilderbuch-Popstars des Mainstreams geben soll, dann ist das Billie Eilish. Weder ihr Sound, noch ihr Erscheinen lässt sich in eine der klassischen Kategorien pressen, keine aufwendigen Choreografien die von seichter Musik ablenken sollen, keine Übersexualisierung. Und das funktioniert so gut, dass es auch zum Mainstream wurde und die Tür für Nachahmerinnen öffnete. Aber stehen bleiben und sich auf dem bisherigen Erfolg ausruhen – das ist auch keine Option für Billie und ihren Bruder Finneas, der wie immer für die Produktion der Lieder zuständig ist.
I‘m gettin’ older, I think I’m agin’ well so begrüßt uns Billie im Opener Getting Older. Things I once enjoyed / Just keep me employed now. Das kann man auf verschiedene Art und Weise interpretieren. Jedenfalls macht sie nicht den Eindruck keine Lust mehr an der Musik zu haben. Getting Older ist ein Basic-Eilish-Song, den man so auf ihrem ersten Album erwarten durfte. So verhält es sich auch mit my future, der Leadsingle, die schon ein Jahr vor Album-Release erschien und noch in die erste Ära von Eilishs Karriere fällt. Ein Song, der viel Amy Winehouse in sich trägt. Ich mein klar, man kann die beiden nicht direkt miteinander vergleichen, die Stimmung und der Aufbau des Lieds erinnert aber an die vor mittlerweile zehn Jahren verstorbene Gesangs-Größe.
Im Vorfeld wurden gleich fünf der sechzehn Songs veröffentlicht. Therefore I Am schlug Ende 2020 groß auf und startete die neue Ära, Your Power zählt durch die Kombination der einfachen Produktion, der simplen Gitarre und des wuchtigen, ehrlichen und wichtigen Textes zu den Songs des Jahres 2021. Lost Cause, die Abrechnung mit dem Ex-Freund konnte nicht an die vorherigen Singles anschließen, auch wenn Billie im Video sichtlich Spaß und Freude hatte. Man bekam zum ersten Mal das kleine Gefühl der Sättigung. Meh, schon wieder so ein Song den man irgendwie schon kennt. Mit NDA kam dann zum ersten Mal was ganz neues, was mit Autotune und einem Staccato-Gezupfe, das sehr gut in Videospiele wie Red Dead Redemption passen würde.
Richtig neu wird es in Tracks wie I Didn’t Change My Number, bei dem Finneas neue Seiten zeigt und deutlich elektronischer wird. Allerdings tu ich mich mit dem Mix schwer, Billies Stimme ist deutlich lauter als die Instrumentals und ich habe noch keinen plausiblen Grund dafür gefunden. Generell aber erfrischend, eine andere Seite zu hören. Die zieht sich dann auch weiter, Billie Bossa Nova entspannt, hat Gitarren und den Vibe den der Titel verspricht. Der experimentelle Teil geht mit Oxytocin weiter, einem Song wie gemacht für einen Club-Rave. Wenn man ohne große Erwartungen in Bezug auf neuen Sound in das Album hineinhört, wird man spätestens hier sehr überrascht sein. Und da ertappt man sich dann, wie sich Bedauern auslöst. Hätte sie nicht diesen Song statt Lost Cause droppen können? Wollte sie den Überraschungsmoment am Album so sehr?
Jedenfalls war es das dann in weiterer Folge mit den Experimenten. Bille und Finneas folgen der bekannten Formel, dem bekannten Erfolgsrezept. Man muss auch nicht viel ändern. Minimalistische Produktion, die zwar immer wieder mit einem Tusch unterbrochen wird, aber nicht immer am Punkt ist. Wie gesagt, der Mix löst bei mir bei manchen Songs ein Fragezeichen aus. GOLDWING hat wieder Billie deutlich ins Zentrum gerückt. Halley’s Comet könnte von Julien Baker inspiriert worden sein, entwickelt sich von einer Klavier Ballade zu einer elektronischen Offenbarung. Dann wird in Not My Responsibilty gesprochen, ernst, zurecht beklagt sie wie fremde Menschen sich eine Meinung über sie bilden, über ihren Körper, ihre Entscheidungen. Diese Rede geht über in OverHeated das wieder mehr Elektro-Elemente beinhaltet und wohl auch nur im Album-Kontext funktioniert.
Das große Finale darf nicht fehlen. Happier Than Ever startet als ruhige Ukulele-Ballade und zündet dann in der Häfte den Turbo. Eine Entwicklung die von Phoebe Bridgers inspiriert sein könnte – ja, ihr seht schon, Hauptsache boygenius-Referenzen einbauen. Die Ukulele weicht der E-Gitarre, da wird dann übersteuert und besungen wie unglaublich scheiße die letzte Beziehung war und wieviel besser das Leben ohne toxische Beziehung ist. Damit das Album versöhnlich endet, kommt Male Fantasy als Schlusspunkt. Da stimmt alles, ein fantastischer Song, unglaublich reduziert und abermals Lyrics, die treffen, die sitzen, die wahr sind.
Was kann man zu Happier Than Ever sagen? Es ist nicht einfach. Weder für Billie noch für ihre Fans. Sie hat wieder geliefert, wenn auch anders als am Debüt. Das Problem an der Sache ist die Frage: Erwarten die Fans eine Weiterentwicklung von ihr oder darf sie ihrem Sound treu bleiben? Genau da dürfte die Problematik liegen. Sie hat Texte geschrieben, die unglaublich ehrlich sind – wie immer, die viele Themen anreißen, aber nicht zu einer zusammenhängenden Geschichte verschmelzen. Everybody Dies der ultralangsame Song etwa oder NDA, das das Leben in der Öffentlichkeit und die damit einhergehenden Gefahren mit Stalkern behandelt stehen im Kontrast zu Abrechnungen von Happier Than Ever oder Laust Cause.
Es ist ein Album, dass es gerne jedem recht machen will und deshalb keinen roten Faden findet. Das unterscheidet HET zu Beispiel von anderen starken Pop-Alben der letzten Jahre (TUN). Zyniker würden es mitunter vielleicht sogar als langweilig deklarieren, womit wir wieder beim Punkt wären: Erwartet man zu viel von ihr? Diese Frage muss jeder für sich klären.
Mir persönlich hat Happier Than Ever gut gefallen. Ich spüre keine Enttäuschung oder Langeweile, viel mehr ein gewohntes Musikfeld, auf das ich mich gerne zurückziehe. Basic-Billie quasi, die dich abholt und nicht immer aus den Socken haut. Beim zweiten Album, mit 19 Jahren, nach dem Welterfolg des Debüts – kann sich das alles sehen und vor allem hören lassen. Eine Stunde die sich vielleicht nicht für jede Stimmungslage eignet, die man sich aber nehmen sollte. Keine Skipper, dafür manchmal schräge Produktion und eine Anordnung der Trackliste, mit der ich nicht immer einverstanden bin. Die Anordnung der Songs kann zum Langweile-Vorwurf beitragen.
3,5/5 Pandroids
Früher Sängerknabe, heute zwischen Fußball, Football und viel Musik. Im Herzen immer Punker.