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Drizzy Drake, der erste Künstler mit 50 Milliarden Musik-Streams und damit wohl der erfolgreichste Musiker unserer Tage. Über drei Jahre sind seit seinem letzten Studioalbum Scorpion vergangen, trotzdem droppte er immer wieder neue Singles und teaserte ein neues Projekt an. Weil man sich heutzutage alles erlauben kann, ist das mehrfache Verschieben und Hinwegtrösten von Fans kein großes Problem mehr. Das Album ist ja jetzt da, also – warum der ganze Aufruhr?
Es reicht ein Blick auf das Cover. Damien Hirst, ein britischer Künstler, ist für dieses Verbrechen zuständig, zwölf schwangere Emojis zieren den Umschlag von Drakes sechstem Studioalbum. Ein Cover so einfallsreich wie ehrlich und umgemünzt auf das Album: Austauschbare Musik, angepasst an Erfolgsformeln.
Adonis, Drakes von Pusha T geleaktes Einzelkind, könnte also – wenn man das Cover ernst nimmt – eventuell noch elf Geschwister haben. Drake prahlt auf seiner neuen Platte von seinem unbändigen Charme, seiner unwiderstehlichen Sexualität und seinem Ruhm. So weit, so bekannt. Man könnte zum ersten Mal Gähnen.
Aber – es ist 2021 und Drake hat sich weiterentwickelt. Sagt er zumindest im Opener Champagne Poetry. Er übernimmt Verantwortung für Adonis und hat den besten aller Deals mit der Kindsmutter aushandeln können. Wenn schon erziehen, dann in Drake-Manier, also mit vollem Elan der Großkotzigkeit. Kauft man ihm das ab? Ja, gute fünfeinhalb Minuten vielleicht. Dann kommt Track Nummer zwei Papi’s Home und vergessen sind die Vorsätze. Hotelzimmerpartys mit Kokain und Supermodels sind aber auch verlockender, als die vollen Windeln des Filius.
Überhaupt sorgt sich Drake um seine Mitmenschen, hauptsächlich um das weibliche Geschlecht. In Girls Want Girls will er sich als einsichtiger und verständnisvoller Mann geben, für den es vollkommen ok ist, wenn eine Frau nun mal auf Frauen steht. Nur – er meint etwas anderes. Daraus resultiert die mit Abstand dümmste Line des gesamten Jahres. „Say that you’re a lesbian, girl me too“. Wenigstens verzichtet Feature-Partner Lil Baby auf derlei hochgestochene Querdenkerein und haut einfach raus, was er meint: She like eating pussy, I’m like, “Me too”. Der gesamte Track ist inhaltlich eine einzige Katastrophe, hier wird wieder einmal die Männerfantasie der eh-nicht-so-lesbischen-Frau gezeichnet, die in ihrem tiefsten Inneren nur auf den einen Mann wartet. Wie uns es die Porno-Industrie eben lehrt. Musikalisch wär sogar noch was drinnen gewesen, Drake kann Pop-Rap, das weiß man.
Girls Want Girls bleibt aber nicht lange der furchtbarste Moment von Certified Lover Boy: Mit Way 2 Sexy schafft Drake zusammen mit Future und Young Thug die Peinlichkeitsleiter noch ein wenig weiter nach oben zu steigen. Right Said Freds 90er-Klassiker I’m Too Sexy muss dafür herhalten. Man weiß nicht so genau, wo man da anfangen soll. Beim Text? Bei den Instrumentals? Wenn man jemandem der Drake nicht kennt – diese Menschen soll es ja auch noch geben – diesen Song vorspielt und ihm erklärt, dass Drake der erfolgreichste Musiker unserer Zeit ist…man würde vermutlich in Bonnies Ranch eingeliefert werden.
Ok, lassen wir die grausamen Momente mal links liegen und gehen zu den brauchbaren Nummern. Die findet man hauptsächlich in der zweiten Hälfte des 86 minütigen Albums. Wenn man sich schon durch die gähnenreiche erste Hälfte voller austauschbarer, altbekannter Trap-Beats und Protz-Lyrics durchgekämpt hat, kann man sich auch eine kleine Belohnung abholen. Race My Mind klingt wie ein Song von The Weeknd, vermutlich funktioniert er deshalb so gut. Er erinnert an den Drake der früheren Tage, als es noch aufregend war, was der mittlerweile 34-jährige fabrizieret. Fountains folgt gleich darauf und löst einen klitzekleinen Run der Hoffnung auf ein wenig Abwechslung und Spannung aus. Die nigerianische Sängerin Tems darf darauf glänzen und auch Drake passt wunderbar auf den aufs Klavier reduzierten Afrobeat. Wenn man den darauffolgenden Song Get Along Better ausklammert, komm mit You Only Live Twice tatsächlich der größte Banger des Albums auf uns zu. Rick Ross, Lil Wayne und Drake sorgen für den Nachfolger des 2011 erschienen YOLO. Gut, da wird geprollt und geprotzt, aber wenigstens klingt’s gut.
Doch bleibt Certified Lover Boy in erster Linie eines: Langatmig. Gut die Hälfte der Songs hätte er streichen können, sie werden höchstens echte Drake-Anhänger zu irgendeinem Gefühl animieren. Hätte er das Album Adonis gewidmet, wüsste man wenigstens wieso: Weil er ihm die Lieder immer zum Einschlafen vorsingt. Nichts, aber auch gar nichts, neues bekommen wir vom Streaming-King. Außer der Erkenntnis, dass er machen kann was er will – es wird sich gut verkaufen. Drake im Jahr 2021 ist ungefähr gleich spannend wie eine neue Staffel DSDS: In Momenten witzig, manchmal voll ok, hauptsächlich aber zum Fremdschämen.
PS.: Ja, über den ganzen R.Kelly-Cedit-Scheiß beim Song TSU könnte man sich lange aufregen. Ich brauch jetzt aber eine Pause von dieser dargebotenen Misogynie.
2/5 Pandroids
Früher Sängerknabe, heute zwischen Fußball, Football und viel Musik. Im Herzen immer Punker.