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Es ist ein Album! Die Geburt verlief ruhig, auch wenn noch wenige Stunden nach der Entbindung Nachwehen zu spüren waren. Lil Nas X hat sein erstes Studioalbum veröffentlicht und damit endgültig den Beweis geliefert, dass er kein musikalisches One-Hit-Wonder darstellt. Was Montero kann, sehen wir uns jetzt genauer an.
Background
2019 war Lil Nas X‘ Jahr. Mit diesem Song stürmte er weltweit die Charts, brach Rekorde die bis jetzt Bestand halten und kreierte dabei auch gleich noch ein neues Genre: Oldtown Road, der Mix aus Rap und Country machte ihn zu einem globalen Star, der sich aber recht schnell dem Vorwurf ausgesetzt sah, ein One-Hit-Wonder zu werden. Die Geschichte dieses Songs allein wäre scho ein Video wert, Lil Nas X hat auf Reddit nach Meinung zu dem Lied gefragt und praktisch keine Antworten darauf erhalten. Aber – wir wissen wie die Geschichte ausging: Ein Feature mit Billy Ray Cyrus später und die Welt wusste, wer er war. Zumindest oberflächlich. Lil Nas X outete sich am 30. Juni 2019, dem letzten Tag des Pride Monats, und verheimlichte seine Sexualität nicht mehr weiter. Dieses Outing spielt in der weiteren Karriere des 22-Jährigen eine große Rolle.
Was man auch unbedingt erwähnen muss: Lil Nas X versteht das Internet und die sozialen Netzwerke. Als Kind der Meme-Generation weiß er welche Knöpfe er wann drehen muss, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Jahrelang unterhielt er auf Twitter einen Fan (eigentlich Stan-Account) für Nicky Minaj, ehe er sich seiner eigenen Musikkarriere widmete. Der Rollout zum Release von Montero spielte auch sehr viele virale Gustostücke. Angefangen vom Release seiner ersten Single Montero (Call Me By Your Name), der im Rahmen einer Super Bowl Werbung angeteasert wurde, dessen Musikvideo Konservative verzweifeln und einen der größten Schuhhersteller der Welt vors Gericht ziehen ließ. Ja, man darf offenbar keine Schuhe adaptieren ohne es zuvor mit der griechischen Siegesgöttin abzusprechen. Aber gut, so viel Aufregung reicht noch nicht, auch der Videorelease von Industry Baby schlug hohe Wellen. Lil Nas X greift den Gerichtsprozess wegen der Schuhe auf und verarbeitet ihn zu Beginn des Videos. Anschließend geht’s im Gefängnis richtig rund.
Die virale Komponente stimmte also, nahezu jede Single polarisierte und wurde auch gekauft und geklickt. Dem nicht genug, tat sich Lil Nas X mit der amerikanischen Fast Food-Kette Taco Bell zusammen, die ihm seine erste Arbeitsstelle als 17-Jährigen gab. Zum Albumrelease soll er eine Rolle in „menu inovations“ spielen. Und weil eine Fast Food-Kette noch nicht reicht, beschloss er die Zeit zum Albumrelease mit einer Schwangerschaft zu zelebrieren. Von Megan Thee Stallions Teil auf Dolla Sign Slime inspiriert, ließ er sich mit Babybauch ablichten. In den darauffolgenden Wochen wuchs der Bauch immer mehr, bis er schließlich endlich ein Album gebar. Das sieht so aus:
Cover
Monteros Cover wurde von niemand geringerem als Spongebob inspiriert. Gut, Lil Nas X hat mehr Schnörkel, mehr Kitsch. Es ist bunt, auffallend, vielleicht ein wenig schräg und mit Sicherheit spiegelt es Lil Nas X wieder. Er schwebt im Zentrum, um ihn herum die Welt mit ihren bunten Facetten. Sicherlich ein Eyecatcher, das steht fest.
Produktion
Die größte Stärke von Lil Nas X – und davon konnte man sich nun doch schon länger überzeugen – ist seine Gabe extreme Ohrwürmer schreiben zu können. Songs, die nicht mehr aus dem Ohr und dem Hirn weichen wollen. Das war bei Old Town Road schon der Schlüssel zum Erfolg, das gilt auch für Montero. Zuständig für diesen Sound ist das Produzenten-Duo Take A Daytrip, das Montero bis auf wenige Ausnahmen hauptsächlich produzierte. Und die machen einen richtig fantastischen Job, alle Songs klingen wie aus einem Guss, egal welcher Produzent am Ende für welches Lied zuständig ist. Es gibt hier große Highlights, Montero zelebriert die Queerness auch musikalisch. Denn genau darum geht es bei diesem Album hauptsächlich.
Lyrics
Lil Nas X versprach eine sehr persönliche Platte und hielt sich an dieses Versprechen. Zwei zentrale Themen werden angesprochen: Sexualität und seine Vergangenheit. Der titelgebende Track dient als Aufarbeitung und Mutmacher an sein jüngeres Ich – explizit wird hier beschrieben, welche sexuellen Vorlieben er hat und wie egal diese der Öffentlichkeit sein können.
I wanna sell what you’re buyin’
I wanna feel on your ass in Hawaii
I want that jet lag from fuckin’ and flyin’
Shoot a child in your mouth while I’m ridin’
Montero (Call Me By Your Name)
Im Video zeigt Lil Nas X den Teufel, eine weitere Metapher. Untermalt wird der Song mit einem sehr, sehr, sehr eingängigen Sound, der sich eben durch das gesamte Werk zieht. Auch diese expliziten Darstellungen seiner Sexualität, die damit verbundenen Fragen, Zweifel und Vorlieben kommen immer wieder vor.
I wonder if he got the G or the B
Let me find out and see, he comin’ over to me, yeah
That’s What I Want
And I’m tryna fuck, lil’ n****, fuck the chit-chat
I ain’t talkin’ guns when I ask where your dick at (Grrr)
Scoop
Aber auch die dunkelsten Themen seines Lebens werden behandelt, etwa die Beziehung zu seiner drogenabhängigen Mutter oder seine Suizidgedanken.
Momma told me she was gonna stop fuckin’ around with that nigga (Fuckin’ ’round with that nigga)
Told me she’d be clean but I’m knowin’ that her ass is a deceiver (Oh, oh, oh)
My momma told me that she love me, don’t believe her
When she get drunk, she hit me up, man, with a fever, like, woah
Dead Right Now
I wanna run away
Don’t wanna lie, I don’t want a life
Send me a gun and I’ll see the sun
Sun Goes Down
Natürlich holt er sich auf einigen Songs noch namhafte Unterstützung.
Features
Jack Harlow bringt sich mit einer Strophe auf Industry Baby ein, Doja Cat, Elton John, Megan Thee Stallion und Miley Cyrus sind ebenfalls mit von der Partie. Und wie klingt das ganze Ding jetzt?
Review
Wie schon angesprochen, ist Montero ein äußerst unterhaltsames und ausgesprochen eingängiges Werk. Nahezu jeder Song hat eine Hook, die zum Mitsingen animiert und Lil Nas X Stärken ausspielt. Sein Mix aus überzeugenden Rapstrophen und seinem Gesang im Refrain funktioniert meistens hervorragend. Take A Daytrip versteht es, seine Visionen mit der nötigen Portion Coolness und Leichtigkeit zu unterstreichen. Thats What I Want beispielsweise hat das Zeug zum nächsten Superhit, zu einfach und sicher gleitet er durch den Song, die paar zusätzlichen Stimmen im Hintergrund machen den Song dichter und tiefer.
Chöre sind so eine Sache, vor allem bei Dead Right Now kommen sie gekonnt zum Einsatz, wenn es um Halleluja geht. Eigentlich hätte man auch eine Stimme von Elton John erwartet, sein Feature beschränkt sich auf One Of Me aber ausschließlich auf die Unterstützung am Klavier. Wir fallen also um eine sehr interessante Kollaboration um, auch wenn wir inhaltlich einen wunderbaren Einblick in die Gedanken von Lil Nas X bekommen, der sich auf diesem Lied mit all jenen beschäftigt, die ihn nur als One-Hit-Wonder ansahen.
Diversität spielt die größte Rolle in Lil Nas X Leben, das hört man auch in seinem Sound. Lost In The Citadel kann man als Pop-Rock-Song ansehen, Tales of Dominica hingegen als ruhigen Latin-Vibe-Song mit gezupfter Gitarre als Taktgeber. Die besungenen Gefühlswelten kann man ihm abkaufen. Wie im Lyric-Teil schon erwähnt, ist Sun Goes Down der wohl am stärksten im Gegensatz stehende Track von Montero. Suizidgedanken, die Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit werden in eine harmonische Hülle verpackt. Sicherlich einer der besten Tracks des Albums. Harmonisch geht es auch auf Void weiter, während Life After Salem wieder in eine andere, langsamere und ruhigere Rock-Richtung geht, das sich zu einer immer größer werdenden Rock-Ballade aufbläht.
Auf Dolla Sign Slime geht sich sein Flow mit den Trompeten im Hintergrund gerade so aus, die vielleicht etwas zu laut abgemischt wurden. Schlussendlich kommt aber noch Megan Thee Stallion vorbei, die in ihrer gewohnten Art einfach abliefert. Klar, das ist nicht unbedingt neu was Megan macht, aber noch funktioniert alles zur Zufriedenheit der Hörer:innen. Eigentlich ist auch Eminem dabei, also zumindest melodisch: Don’t Want It verwendet wie Eminems Mockingbird die Melodie von Hush, Little Baby, ist aber sonst nichts, was man unbedingt gehört haben muss. Auf dem Finale dieses Debüt-Albums schließt sich der Kreis zum Old Town Road – statt mit Billie Ray singt er hier mit Miley Cyrus. Letztere überzeugt auf ganzer Linie, ein hervorragendes Duett zwischen dem singenden Rapper und Miley, das in seiner reduzierten Schönheit seine Stärken hat.
Die größte Enttäuschung dieses Albums stellt Scoop dar: Der Track fällt sehr flach aus, vor allem Doja Cats Strophe bleibt hinter den Erwartungen. Die Länge stimmt nicht, insgesamt einfach kein besonders herausstechender Song.
Fazit
Vom One-Hit-Wonder ist Lil Nas X extrem weit weg, das stand auch schon vor der Veröffentlichung des Debüt-Albums fest. Die behandelten Themen sind vielleicht im Jahr 2021 nichts Außergewöhnliches, dafür aber immer noch sehr, sehr wichtig. Gerade als Mutmacher für all jene, denen es gleich ging oder ergeht wie Lil Nas X selbst. Montero ist keine Abrechnung mit der Vergangenheit, sondern ein lebensfrohes, lebensbejahendes Musikwerk eines jungen Künstlers, der langsam aber sicher seinen Frieden und seinen Platz in der Gesellschaft gefunden hat. Dabei spricht er ungeschönt von seinen Zweifeln und Erlebnissen, aber auch von seinen Erfolgen und seinen weiteren Träumen. Musikalisch werden Fans von Post Malone oder Mac Miller nicht um dieses Album herumkommen. Insgesamt ein sehr gelungener Album-Start in die Karriere von Lil Nas X.
3,5/5 Pandroids
Früher Sängerknabe, heute zwischen Fußball, Football und viel Musik. Im Herzen immer Punker.