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DIE ÄRZTE – DUNKEL

© Hot Action Records

Und plötzlich gibt’s ein weiteres Ärzte-Album. Die beste Band der Welt hat knapp ein Jahr nach Veröffentlichung von Hell bereits wieder nachgeschossen und mit Dunkel das insgesamt 14. Studio-Album herausgebracht. Ob sie mit den insgesamt 19 neuen Liedern an Hell anschließen können?

Background

Die Ärzte muss man wohl nicht weiter vorstellen. Im Jahr 1982 gegründet, zwischenzeitlich aufgelöst und schließlich 1993 in der aktuellen Besetzung zurückkehrt, zählen Bela B., Farin Urlaub und Rod Gonzalez zu den fixen Größen der deutschsprachigen Rockmusik. Die Ärzte müssen nicht mehr beweisen, hätten sich aber auch ohne knapp vierzig Jahren Bühnenerfahrung von niemandem etwas sagen lassen. Ganze acht Jahre mussten Fans auf die Veröffentlichung von neuem Material warten, ehe Hell letzten Oktober den Weg in die Regale und Streamingbibliotheken fand. Dass dann schon ein Jahr später ein nächstes, umfassendes Album erscheint, überraschte doch ein wenig.

Dunkel schlägt mit 19 Songs auf, wovon viele schon im Rahmen der Produktion für Hell entstanden sind. Einige sind geblieben, andere neue kamen dazu. Feststand: Die Band hatte so viel neue Musik, dass sich beim Beginn der Aufnahmen zu Hell der Gedanke durchsetzte, zwei Alben zu produzieren. Dunkel stellt aber nicht die übriggebliebenen Reste von Hell dar, sondern steht eigenständig auf beiden Beinen im großen Ärzte-Kosmos.

Wir haben Hell in unserer Review damals vier von fünf Pandroids gegeben und das Album am Ende des Jahres auf Platz 20 unserer Bestenliste gereiht. Die Erwartungen an Dunkel sind also nicht sonderlich klein.

Cover

Wie der Name schon suggeriert, wird es auf Dunkel düster. Das Cover zeichnet dasselbe Bild: Die drei schauen ernst und im Gegensatz zu sonst wenig fröhlich – man bekommt eine mafiöse Stimmung. Farin und Bela scheinen mit gewissen Dingen nicht einverstanden zu sein.

Lyrics

Was könnte die beiden nach so vielen Jahren noch ernsthaft aufregen? Richtig, Nazis. Wir sprechen hier immer noch von einer Deutsch-Punk-Gruppe, die sich zwar selbst nicht so ernst nimmt und immer wieder den Ausflug in andere Genres wagt, ihre Wurzeln aber nie vergessen hat. Nazis sind und bleiben scheiße, das kann man nicht häufig genug wiederholen. Auf Doof macht Bela keinen Hehl daraus, dass es schlichtweg nichts bringt, mit Nazis zu diskutieren. Im Refrain stellt er auch unmissverständlich klar, dass es für Nazis keine Hoffnung auf Besserung gibt.

Sie bleiben Punker, auch wenn man es nicht immer hört. Anti ist eine Hymne gegen alles, wirklich alles was es gibt, vorgetragen in typischer Farin Urlaub-Form. Reime die einfach, aber effizient sind.

Toxischer Männlichkeit widmen sich die Ärzte auf diesem Album ebenfalls ausgiebig. Rod schreit sich in Schrei im wahrsten Sinne des Wortes den Frust von der Seele. In KRAFT verdeutlicht Farin, dass Worte und nicht nur Taten ordentlich Power haben und man das besser nicht vergessen sollte. Bela widmet sich diesem Thema in EINSCHLAG – auch bei NACHMITTAG kann man einen möglichen Missbrauch als Auslöser für einen Mord interpretieren. Farin legt auf BESSER auch noch mal nach.

Natürlich kommt der Spaß auch nicht zu kurz, gleich der Opener KFM hat Ärzte-typische Elemente zu bieten. WISSEN könnte eine Fortsetzung des Klassikers Zu Spät sein, wenn man die dargebotenen Sichtweisen tauscht.

Die bevorstehende Bundestagswahl spielt auch eine Rolle. Im letzten Song OUR BASSPLAYER HATES THIS SONG wird eine Ode an die Demokratie besungen, die Rod offenbar nicht wirklich feiert. Kapitalismuskritik kommt auch noch vor, wie etwa in KERNGESCHÄFT.

Also ganz schön was los, viele ernste Themen, wenig Blödeleien und zum zwischenstreuen Farin und Bela mit ihren gewohnten Liebesnummern.

SOUND

Natürlich klingen die Ärzte in erster Linie, wie die Ärzte eben klingen. In den vielen Jahren haben sie ihren Sound gefunden und bedienen sich dessen Elementen. KFM bedient Fans – schneller Takt, Gitarrensoli, Melodie für Liveauftritte – die Ärzte wie man sie kennt und liebt. Es sind nicht nur einfache Melodien auf Dunkel zu finden, sondern durchaus auch anspruchsvollere oder genreübergreifende Musik. Der Titelgebende Track etwa hat musikalisch sehr viel von einer Kraftklub-Nummer – was insofern ja witzig ist, weil Kraftklub die Ärzte als großen Einfluss sehen.

ANTI hat neben KFM noch am meisten mit den alten Ärzten zu tun. Nicht nur wegen den Lyrics, sondern auch der sturen und lauten Powerchord-Melodie samt Gitarrensoli. In Doof grooven wir im Ska dahin und verteufeln Nazis. Wohltuend, wie es sich gehört.

Rod und Farin lieben Oh-Chöre, sie kommen auch auf SCHREI zum Einsatz. Ein Lied, das – typisch Rod – durch Eingängigkeit besticht und sich seine Kraft aus dem Wechselspiel zwischen Text und Gitarren holt. Ein Ärzte-Song wie man ihn kennt und mag, laut, sehr, sehr melodiös.

KRAFT stellt den rammsteinigsten Song in der Geschichte der Ärzte dar und er wird nicht von Bela sondern von Farin gesungen. Der Refrain driftet sehr in die neue deutsche Härte ab, zwar nicht lange, dafür aber gut. Hätte ich selbst nicht geglaubt, dass das funktioniert, habe aber auch nicht gewusst, dass so ein Crossover gar keine schlechte Idee ist. KRAFT hat dazu noch Teile aus Sprechgesang, gut gewählte Breaks und Soli.

KERNGESCSHÄFT hat das einzige Feature des Albums parat, die bayrische Rapperin Ebow mischt den Song und Sound auf. Eine erfrischende Kollaboration auf einem Lied, das in den Strophen zumindest ein wenig an Wir Sind Helden erinnert.

EINSCHLAG tritt mit einem wunderbaren Riff auf, von dem man sich nicht satthören kann, ANASTASIA ist der typische Farin-Liebestrack, der auf keinem Album fehlen darf. Akkustische Gitarren zu Beginn, die früher oder später von der elektrischen abgelöst werden und dann zur Ärzte-Wohltat werden. Mit TRISTESSE verhält es sich ähnlich, ein Farin Urlaub-Wohlfühlsong, wie Jag Älskar Sverige!

SCHWEIGEN hat sehr viel Elektronisches. Auch das ist nicht unbedingt neu, auch wenn man diese Richtung nicht sofort mit den Ärzten in Verbindung bringt.

FAZIT

Dass größte Problem von Dunkel ist seine Länge. Mein 15-jähriges Ich hätte 19 neue Ärzte-Tracks wie Ostern, Geburtstag und Weihnachten zusammengefeiert und hätte die Lieder circa drei Monate durchgehend auf dem alten iPod geballert. Jetzt, 14 Jahre später, geht es mir im Grunde genommen immer noch ähnlich – neues Ärzte Material wird immer noch gebührend gefeiert, auch wenn ich mich tatsächlich dabei ertappe, auf den ein oder anderen Song verzichten zu können. Songs wie ERHABEN ziehen sich sehr in die Länge oder fühlen sich länger an, als sie tatsächlich sind. Ich will hier gar keine Gotteslästerung betreiben (wir wissen, es gibt nur einen Gott – BelaFarinRod), es handelt sich um keine schlechten Songs, sondern nur um Nuancen die man ändern oder weglassen hätte können. Die Anzahl der Tracks wurde von der Band schon in einem Interview bei Deutschland-Funk thematisiert.

Auf Dunkel steht sich die Band ein wenig selbst im Weg – durch die verhältnismäßig vielen politischen Texte, bekommen sie die Turn nicht ganz auf eine klare Linie hin. Das macht aber insofern nichts, als dass die Ärzte genau jene bedienen, die sie ohnehin schon am meisten Verehren: Ihre Fans. Dunkel kann nicht ganz an Hell anschließen, hat aber trotzdem den ein oder anderen künftigen Ärzte-Hit an Board. Einzeln funktioniert fast alles, im Albumkontext manches eben weniger.

3 von 5 Pandroids

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