© Rough Trade Records
Punk ist tot, es lebe der Punk! Die australische Band Amyl And The Sniffers hält sich an das Credo und hat mit Comfort To Me ein neues Album herausgebracht, das sämtliche Checkboxen des Genres erfüllt: Laut, dreckig und mit einer gehörigen Portion Scheiß-Drauf-Attitüde ausgestattet.
Background
Ganz so lange gibt es die Band noch nicht: 2016 gründeten die WG-Bewohner Amy Taylor, Bryce Wilson und Dec Martens die Gruppe, hauptsächlich, um auf Konzerte gehen zu können und andere Bands zu sehen. Wie es sich gehört, wurde der Entschluss selbst Musik zu machen in einem Pub gefasst, der Name geht auf den australischen Slang für Amylnitrit (besser bekannt als Poppers) zurück. Auch wenn man von einer Suffidee sprechen kann, hat ihnen der Erfolg schnell Recht gegeben. Zwei EPs erschienen, 2019 wurden sie von Rough Trade Records unter Vertrag genommen. Als Förderer von Amyl And The Sniffers treten vor allem King Gizzard And The Lizzard Wizzard auf. Das Debüt-Album kam vor zwei Jahren auf den Markt und überzeugte Kritiker. Jetzt wird mit Comfort To Me nachgelegt.
Produktion
Nick Launay, der schon mit Nick Cave, IDLES oder den Yeah Yeah Yeahs aufgenommen hat, übernahm das Mixing, Bernie Grundman sorgte für das Mastering. Letzterer hatte diese Aufgabe schon bei Michael Jacksons Thriller, Dr. Dres The Chronic oder Tupac Shakurs Me Against The World bzw. zahlreichen Prince-Alben über. Diese beiden Namen allein zeigen schon, wie sehr das Label an Amyl And The Sniffers glaubt. Entstanden ist ein richtig feiner Lärm, eine wohltuende Orgie an drei Akkorden, die aber immer wieder von starken Soli unterbrochen wird und die schlussendlich auch zeigen, dass sie ihre Instrumente doch auch beherrschen. Die neusten Melodien bekommt man auf Comfort To Me nicht zu hören, dafür hört man eine Band, die hervorragend harmoniert und in der jedes Mitglied seinen Platz und seine genaue Aufgabe kennt, um den maximalen Erfolg und den besten Sound herauszuholen.
Lyrics
Außenseitertum, Gesellschaftshass bei gleichzeitiger Vergewisserung, in den eigenen Reihen Platz für alle Charaktere der Welt zu haben, Kapitalismus- sowie Sexismus-Kritik stehen auf dem Programm. Quasi das 1mal1 einer Punkband. Lasst euch nicht dazu hinreißen, dieses Album in irgendeiner Weise selbst zu beschneiden.
Freaks to the freaks to the freaks
Freaks to the Front
To the freaks to the front
If they don’t like you as you are
Just ignore the cunt
Da wird unmissverständlich klar, dass die Punk- und Pub-Rock-Szene jeden aufnimmt. Ein Thema das sich durch die Bewegung durchzieht und von nahezu jeder Punkband mindestens einmal in ihrer Karriere behandelt wird.
Von Bevormundung hält Amy natürlich auch nichts, das kann man sich eigentlich ohnehin denken:
I can make my own choices
Choices
I ignore all the voices
Life has layers
I it’s lawless stuff ya
Die Ablehnung gegen den Kapitalismus und dessen Auswüchse wird vor vor allem in Capital hörbar, hier gibt es den Tiervergleich und die Erkenntnis, dass das Leben ohnehin bedeutungslos ist. Live fast, die young.
It’s just for capital
Capital
Am I an animal?
And do I care at all? Capital, capital
I’m just an animal
Freedom don’t exist
Humans don’t exist
Existing to exist
Life is meaningless
Wie gesagt, Amy schreibt auch über Feminismus, Sexismus und das Leben einer Frau in einer patriarchalen Welt. Knifey behandelt die Risiken eines einsamen Heimwegs einer Frau durch die Nacht, den sie nur mit gezücktem Messer sicher antreten kann.
All I ever wanted was to walk by the river, see the stars
Knifey
Please, stop fucking me up
Out comes the night, out comes my knifey
This is how I get home nicely
Die Fuck-You-Attitüde wird in Don’t Need A C**t Like You To Love Me noch einmal verdeutlicht.
Don’t need a c**t
Don’t need a c**t like you to love me
Like you to love me
Don’t want a c**t
Like you to love me
She’s ten out of ten
You’re so so
You think you can fuck with her?
Hell no
Und Laughing stellt unmissverständlich klar, dass es Amy einfach scheißegal ist, was andere Menschen von ihr denken.
I am still a smart girl if I’m dressing slutty
Laughing
And I am still a smart girl when I earn my money
I am still a good girl when I’m on the telly
I am still a good girl don’t you fucking tell me
Everyone is laughing
Everyone’s laughing at me
Everyone is laughing
You can keep fucking laughing
Also – viele Themen, die im Grunde genommen das Leben von Punks und deren Einstellungen auf den Punkt bringen. So sehr es sich Kritiker oder Gegner der Bewegung auch wünschen – die behandelten Bereiche haben immer noch ihre Berechtigung, auch fünfzig Jahre nach Aufkommen der Jugendkultur. Liegt vielleicht auch daran, dass sich einfach nur sehr wenig verbessert hat.
Review
Guided by Angels startet die 35-minütige Fahrt ins Glück. Man kann von einem perfekten Opener sprechen, ein Song, der neugierig auf Mehr macht, der die Qualitäten der Band vorstellt und dessen Energie man sich nur sehr schwer entziehen kann. Man merkt hier schon, dass Amyl And The Sniffers mehr drauf haben, als nur drei Akkorde zu spielen (auch wenn sie sich immer wieder den Powerchords hingeben). Riffs, starke Bassline und allgemein ein sehr stringenter Aufbau eröffnen das Album. Amy gibt alles, von der ersten bis zur letzen Sekunde.
Freaks to the Front wird richtig hart, scheut nicht vor vielen Rock-Elementen zurück, Choices beginnt ruhig, wird aber immer schneller. Amyl And The Sniffers erinnern in vielerlei Hinsicht an Bands wie The Casualties, auch wenn Amy deutlich harmonischer singt. Street-Punk, Hardcore – da geht alles. Auch wenn einiges sehr ähnlich klingt, kommt am Ende immer was Neues, erfrischendes heraus. Die Band schafft es Eintönigkeit zu verhindern, was vor allem mit der unendlichen Power aller Mitglieder zu tun hat. Niemand drängt sich in den Vordergrund, die Bandmitglieder haben eine wunderbare Abstimmung gefunden, die alle Einzelteile gleichermaßen glänzen lässt oder im Zweifel das Scheinwerferlicht auf Amy zielen lässt. Hertz stellt ein weiteres Brett des Albums dar, Amy rappt sich fast durch die Strophe, ehe sich der Song zu einem weiteren Wahnsinn mit Soli, Breaks entwickelt und wieder mit einer enorm anziehenden Bassline glänzt.
Maggot könnte sofort in jedem Skateboard-Videospielaufgenommen werden, die Aggressivität von Capital unterstreicht die zuvor besprochene Message des Songs. Einzige kurze Verschnaufpause vom ständigen Pogo bietet Knifey, dessen Stimmung sich ein wenig vom Rest unterscheidet und wohl auch von der Band für eine kurze Pause benötigt wird. Das macht aber nichts, Amy verliert nichts von ihrem Engagement. Die 91 Sekunden von Don’t need a c**t like you to love me gehen einfach in die Fresse, so wie Laughing. Der Closer Snakes handelt von Amys Jugend und fällt ein wenig aus dem gesamten Kontext des Albums heraus.
Fazit
Wer auf Punkrock steht und nach einer Band sucht, die man bedingungslos feiern kann, sollte Amyl And The Sniffers auf dem Zettel haben. Die Band macht auf Comfort To Me eigentlich alles richtig, hält die Energie hoch (kein Song dauert länger als drei Minuten) und rotzt sich den Frust von der Seele. Sehr erfrischend, sehr befreiend. Comfort To Me kann im Pub als auch auf großen Festivals gespielt werden und die Zuhörer:innen zum kollektiven Ausrasten bringen. Ein hervorragendes Punk-Album, dessen Divergenz zwar nicht immer die Größte ist und trotzdem auf Grund des Gespürs der Bandmitglieder Langweile und Abnützungserscheinungen vermeidet.
4,5/5 Pandroids
Früher Sängerknabe, heute zwischen Fußball, Football und viel Musik. Im Herzen immer Punker.