Zum Inhalt springen

COLDPLAY – MUSIC OF THE SPHERES

© Parlophone Records

Endlich wieder Coldplay (said no one ever im Jahr 2021). Die Arenastürmer knallen ihr neuntes Studioalbum raus, das den kryptischen Namen Music of the Spheres trägt. Nach dem Flop des Vorgängers will die Band einiges wieder gut machen. Gelingt das?

BACKGROUND

Everday Life, das achte Album von Coldplay, blieb 2019 deutlich unter den Erwartungen, vor allem am amerikanischen Markt. Gut, in ihrer britischen Heimat ging sich Platz 1 in den Charts schon noch aus aber im Großen und Ganzen schien sich ein Sättigungsgefühl breit zu machen. Also wollen Chris Martin und seine Combo neu angreifen und auch wieder ordentlich Geld in die Kasse spülen lassen – abgesehen vom großen Tourgeld. Was macht man, wenn man kommerziell erfolgreich sein will? Man wendet sich an Schweden: Max Martin. Angefangen als Produzent für Britney Spears‘ Baby One More Time oder dem Junggesellenabschieds-Kalauer I Want It That Way der Backstreet Boys, liest sich seine spätere Berufsvita wie das US-amerikanische Basketballteam der 90er-Jahre. Stars überall. Katy Perry, Pink, Kelly Clarkson, Taylor Swift, The Weeknd, Ariana Grande…25 Nummer 1 Hits in den Billboard Charts. Wer sollte also einer angeschlagenen aber noch nicht ausgeknockten globalen Weltband besser weiterhelfen können als er?

Chris Martin verfolgt die Idee ein Album zum Thema Weltall und Sterne zu machen schon seit elf Jahren. Jetzt hat man sich tatsächlich durchgerungen. Zwölf Lieder, 42 Minuten, wobei man hier den Closer mit 10:18 Minuten extra erwähnen muss. Vorab wurde die Promo-Trommel ordentlich gerührt. Higher Power als erste Auskopplung und Teaser, My Universe mit BTS als Ass im Ärmel für einen weiteren Nummer 1-Hit.

PRODUCTION

Max Martin übernimmt also das Ruder und steuert das coldplay’sche Schiff durch die Galaxie. Die Band macht nichts, aber auch wirklich gar nichts, was sie früher auszeichnete. Sämtliche Songs würden so gerne zu einer großen Stadion-Hymne werden oder einfach nur beweisen, dass Coldplay nach all den Jahren noch irgendeine Innovation parat hat. Handwerklich ist das von Martin natürlich steril und durch die Bank clean gemacht, Turbulenzen sind auf der Sternenfahrt tatsächlich nicht eingeplant.

LYRICS

Der Songwriter-Stern von Chris Martin schien noch nie sonderlich hell. Diese Einschätzung teilt der Sänger selbst, er spricht davon, dass er am Ende des Tages nur über ein paar Gefühle schreiben kann. Nichts fällt hier besonders positiv oder negativ auf. Die Zeilen spiegeln schlichtweg die Außendarstellung von Coldplay wider: Sie sind einfach nett. Viele Wörter über das Menschsein, über höher Kräfte und natürlich auch Liebesgeständnisse. Die Auswahl der Themen soll hier gar nicht groß kritisiert werden – er schreibt eben, worüber er schreibt. Tatsächlich fällt es mir aber schwer, auch nur irgendeine längere Passage von einem spezifischen Song vorzulesen.

REVIEW

Ein Blick auf Tracklist reicht und man sieht schon ­– Coldplay will cool sein. Fünf der zwölf Songs tragen keinen Namen, sondern nur ein Symbol oder ein Emoji. Natürlich kann man herausfinden wie die Lieder heißen, die bloße Verwendung der Symbole lässt aber entweder auf eine Midlifecrisis oder einen typischen Dad-Move schließen, der es mit dem inflationären Gebrauch der Smileys übertreibt.

Immerhin kann man diese „Symbol-Lieder“ hauptsächlich als Intros bzw. Skits sehen, die wohl eine besonders abgespacte Atmosphäre schaffen sollen. Music of the Spheres – der Opener – geht interessanterweise nicht nahtlos an Higher Power über, diese 53 Sekunden stehen einfach da, wie nicht bestellt und schon gar nicht abgeholt. Higher Power versucht einmal mehr eine Antwort auf das ikonische Viva La Vida zu sein, kommt aber auf Grund der fehlenden Power, der sehr bekannten Coldplay-Songaufbau-Formel einfach nicht im Ansatz an den Welthit heran. Egal wann sie ein neues Album veröffentlichen, so ein Song muss immer dabei sein. In der langen Diskografie der Band, fällt ein Song wie Higher Power nicht mehr auf – sie haben zu häufig ein und dasselbe Lied geschrieben. Ioioioio-Chöre, ein paar Synthis, bisschen Falsett und eine bunte Inszenierung bzw. Visualisierung – fertig. Alles schon gehört, alles schon gesehen.

Was definitiv neu ist, ist der Zugang zu Schlager. Ja, Humankind könnte auf Grund seiner Synthis und seiner Gitarren auch eine – zugegeben ältere – Schlagernummer von Wolfgang Petry sein. Wobei, da tut man Wolle Unrecht, er würde mehr Wumms hereinbringen. Coldplay macht das anders, gewohnt mit Chris Martin’schem Falsett. Dass der Song im Ohr bleiben wird, ist natürlich auch der Verdienst des anderen Martins am Produzententisch. So geht es einem allgemein mit sehr vielen Titeln von Music of the Spheres, ob man will oder nicht, einige Dinge werden hängen bleiben und nachklingen. Über die Problematik von nervenden Ohrwürmern haben wir schon öfter gesprochen, Humankind reiht sich in diese Kategorie zwar gerade noch nicht ein, lässt aber höchstens wegen des Amüsemant-Schlagerfaktors noch einmal zu diesem Song zurückkehren.

Alien Choir dauert wie der Opener 53 Sekunden und wird vermutlich häufig in Museen zum Einsatz kommen, um eine Atmosphäre der Atmosphäre schaffen zu wollen. Und dann kommt die erste Ballade, die man sich nach mehrmaligem Hören dieses Albums auch schon herbeiwünscht: Let Somebody Go mit Selena Gomez. Ein weiterer Star, der vor allem bei der Jugend zündet (fünfmeiste Follower auf Instagram), selten aber durch herausragende Gesangskünste aufgefallen ist. Hier harmoniert sie aber sehr gut im Wechselspiel mit Martin. Aufregend ist dieser Song auch nur bedingt, eigentlich hat Chris Martin auch schon circa elf dieser Sorte geschrieben. Einzige Neuheit stellt der dazugeschaltene Beat von Max Martin dar. Wie und wo man Let Somebody Go kommerziell einsetzen kann, bleibt schleierhaft. Vier Minuten wo wenig weiter geht, man ziehen und zerren will. Es gibt sehr wohltuende Passagen, die aber sehr schnell abgeschwächt oder verdrängt werden.

Einer der wenigen Emoji-Song der diesen Namen auch verdient, ist Human Heart, auf dem Chris Martin erklärt, dass Boys nicht weinen. Drei Minuten vollkommenes a capella. Eine nette Idee, aber ob man dieses Experiment in die Mitte des Albums packen muss, darf gerne hinterfragt werden. Um aufzuwachen, folgt People of the Pride. Spätestens jetzt wird es lächerlich. Coldplay gibt sich als harte Rockband oder als Abklatsch von Bands wie Muse. Ein abgedroschenes Gitarrenriff zieht sich durch das Lied – selten hat ein musikalischer Weiterentwicklungsversuch weniger gepasst als in diesem Fall. Die Passagen ohne dieses grausame Thema sind tatsächlich noch sehr annehmbar und erfüllend, sie werden aber von diesem unglaublichen Fehl(g)riff in alle Einzelteile zerlegt. Dad-Rock vom Feinsten.

Die Experimente enden noch nicht. Biutyful pitcht in der ersten Hälfte des Songs Martins Stimme weit nach oben, vielleicht um ein Alien zu imitieren. Jedenfalls stellt der genannte Track den besten des Albums dar. Trotz des Pitchings, kommen die alten Stärken der Band hier am besten zur Geltung. Reduzierter Sound dank akustischer Gitarre, Chris Martin wie er eben singt und fertig. Danke!

Nach dem nächsten Interlude folgt der Nummer 1-Hit My Universe mit den südkoreanischen Superstars BTS. Gut, da muss man nicht mehr viel sagen, Max Martin schneidert einen sehr austauschbaren Popsong zusammen, der Fans definitiv viel Freude bereiten wird, allen anderen drei große Buchstaben vors Auge führen wird: MEH. Nicht schlecht, nicht gut. Durchschnittlich, einfach nett – wieder einmal.

Bleibt noch der letzte Symbol-Song Infinity Sign. Aufgebaut auf den Fanchor Olé, olé, olé, olé, olé, olé, unterlegt vom albumtypischen Synthi-Pop. Der Beginn stellt sich als äußerst unangenehm dar, ab dem Zeitpunkt des Stopps der Lyrics kann man sich dieses Lied immerhin noch im Hintergrund diverserer Tätigkeiten reinpfeifen. Das Album schließt mit Coloratura, das gerne der nächste Stadionbrüller werden will, vermutlich auch soll. Eine zehnminütige Ansammlung aller für Coldplay typischen Elemente: Ruhiges Solo-Klavier zu Beginn, verträumte Gitarren im Hintergrund und ganz sanfter Gesang von Chris. Klar baut sich auf die Dauer was auf und tatsächlich fühlt sich das Lied im Gegensatz zu anderen Songs von Music of the Spheres tatsächlich nicht so lange an. Die Oh-Chöre und Streicher werden auf der kommenden Tour den offiziellen Konzert-Teil vor den Zugaben beenden. Das wird auch für spektakuläre Aufnahmen sorgen.

FAZIT

Je öfter man Music of the Spheres hört, desto mehr drängt sich bei mir die Frage auf: Wollte Coldplay hier tatsächlich so etwas wie eine Renaissance einleiten und sich noch einmal weiterentwickeln? An einigen Stellen gibt es in der Tat so etwas wie Mut, allerdings sind diese Experimente fast ausnahmslos ein Griff ins Klo. Der Verdacht ein eigenes Kid A erschaffen zu wollen liegt dennoch nahe, scheitert aber schon auf Grund der Produzentenauswahl. Übrig bleibt der klassische Max Martin-Sound, also vieles was man von The Weeknd oder Katy Perry gewohnt ist. Music of the Spheres ist vielmehr ein Versuch von langsam in die Jahre kommenden Musikern hip zu wirken und viral zu gehen. Dank Selena Gomez, BTS und nicht zuletzt Max Martin, kann das gelingen. Musikalisch leider keine Sternstunde in der üppigen Diskografie Coldplays.

2/5 Pandroids

Schreibe einen Kommentar