© Island Records
Ist euch manchmal auch langweilig und der Alltag zu grau? Dann habe ich heute ein perfektes Gegenmittel dafür: Remi Wolf. Remi Wer? Eine 25-jährige Kalifornierin, die mit ihrem Debütalbum Juno, wieder Farbe in das Leben bringt.
BACKGROUND
Juno, das Debütalbum von Remi Wolf. Der Buzz um die junge Amerikanerin wurde in den vergangenen Monaten immer größer, nahezu alle Vorabsingles konnten Kritiker überzeugen und ihre Hörerschaft wachsen lassen. So wurde sie binnen weniger Wochen und Monate bekannt und das Releasedatum ihres Debüts immer größer herbeigesehnt. Viel hätte nicht gefehlt und wir würden heute nicht über Remi Wolf als Musikerin, sondern über Remi Wolf die Skifahrerin sprechen. Zwei Mal nahm sie an den Olympischen Jugendspielen für die USA teil, ehe sie eine kompetitive Sportlerkarriere 2018 zu Gunsten ihrer musikalischen Träume ad acta legte. 2014 versuchte sie es über die Castingshow-Schiene, kam aber in der 13. Staffel von American Idol nicht über die Vorrunde hinaus. Dennoch klappte es mit einem Plattenvertrag und der eigenen Musik. Persönlich musste sie auch schon einiges durchmachen: 2020 ließ sie sich auf Grund einer Alkoholabhängigkeit in eine Entzugsklink einweisen und bestreitet ihr Leben seitdem trocken. Und was macht Remi für Sound? Sie selbst nennt es „funky soul pop“ und das kann man so auch stehen lassen. Ihr Ziel ist es, die Regeln des Pop verschwinden zu lassen. Alles ist erlaubt. Vorhang auf für Juno.
REVIEW
Ganz kurz zur Produktion: Remi Wolf hat alle Songs selbst produziert und dabei bei zwölf von dreizehn Liedern Unterstützung von Solomonophonic bekommen. Zudem gibt es manchmal den ein oder anderen Gastprouzenten, wie etwa Phoebe Bridgers‘ Bandkollege Ethan Gruska auf dem Track Street You Live On.
Mit dem Elefant im Raum startet Remi Juno und damit auch den 40-minütgen bunten Trip: Liquor Store gibt den Opener und eröffnet Hörer:innen ihre Einblicke in das Leben einer ehemaligen Alkoholikerin. Der Song entstand vier Monate nachdem sie trocken war und zeichnet ihre Reise nach.
I’m a thrift store baddie with my booty on the sink
liquor store
I‘m a shitty ex-nanny with my marbles on the brink
Spillin’ all over the carpet, the kitchen floor
You clean them up with a mop and the liquor store
Liquor store, ’cause I want more, carnivore
Eating my heart out, liquor store
‘Cause I always want more walking into the liquor store
Dem Alkohol sollte man nicht verfallen, vom Sound Remis kann man aber durchaus abhängig werden. Der von ihr angesprochene Regelbruch wird deutlich hörbar, Liquor Store hat enorm viel Funk und noch mehr Freude. Es kracht hie und da, aber das soll so sein. Das Bunte überwiegt.
Natürlich machte der Corona-Blues auch vor Remi nicht halt. Anthony Kiedis ist nicht nur Hommage an den Frontsänger der Red Hot Chili Peppers, sondern auch Einsamkeitsbewältigung:
Everything’s shut down, yeah
Anthony Kiedis
And I don’t have friends anymore
Everything’s so cloudy, yeah
And I don’t have feelings
I fit my family dynamics
Like a Red Hot Chili Pepper
I love my family intrinsically
Like Anthony Kiedis
Wie schon bei Liquor Store wird man sich nur schwer der Musik entziehen können, spätestens wenn sie zu den Nanana-Chören ansetzt, ist es vorbei mit dem Ohrwurm, der noch vor diesem Lied in den Ohren der Hörer:innen feststeckte. Die ersten beiden Tracks wurden schon vor dem Album veröffentlicht und waren eben stark dafür verantwortlich, dass Remi Wolf auf dem Radar von Popheads erschien.
Wyd kannte man dementsprechend noch nicht – fällt aber in keiner einzigen Sekunde gegen die vorherigen Nummern ab. Wieder extrem viel Funk, gepaart mit Remis stimmlicher Vielfalt, die ein wenig rappt und dann im Refrain wieder zum klassischen Gesang zurückkehrt. Hier kann und muss man sich bewegen. Sie macht zudem über sehr schrille Gitarren unmissverständlich klar, dass sie keine Bestätigung von irgendjemanden braucht, weil sie sich selbst und Medikamente hat. Guerrila läuft seit Erscheinen Anfang September in der Heavy Rotation. Wieder präsentiert sie einen Mix aus Synthis, Gitarren, Bass, Breaks, Claps (Snips) und einem Refrain, der all dieses Dinge mit einer harmonischen Melodie verbindet.
Der unglaublich starke Start in das Album geht mit Quiet on Set weiter. Remi rappt sich durch allerlei Klamauk, ein Track, der zum richtigen Banger wird. Den Beat und die Instrumentals kann man nur schwer beschreiben, wenn man es mit einem Wort versuchen will, dann würde man vermutlich futuristisch-nostalisch wählen. Die Leistung von Remi will einfach nicht abfallen, auch bei den nächsten drei Nummern findet man keine Schwachstellen. Egal ob beim ruhigeren und melodiöseren Volkanio, das wieder ihre Pop-Rap zum Vorschein bringt oder Front Tooth bei dem sie ihr Leben mit einem Conor McGregor-Kampf vergleicht und darum fleht, dass irgendwer ihren Körper aufwecken soll. Grumpy Old Man schlägt mit einem Riff auf, das die Hüften rasch zum Schwingen bringt. Remi kann über alles singen, so auch über Buttermilch, wie im gleichnamigen Track. Hier erfindet sie ihren Sound nicht neu, sondern bleibt der Schiene aus weirden Instrumetal mit vielen elektronischen Zwischenrufen treu.
Richtig neu wird es dann in Sally, ein Song, der auch von PinkPantheress geschrieben werden hätte können. Deutlich elektronischer, mit noch mehr Stimmverzerrung und einem galoppierenden Beat. Das Lied fällt zum Rest des Albums ein wenig aus dem Kontext, funktioniert aber als eigenständiger Track definitiv. Auf ihre vorher eingeschlagene Richtung kehrt sie bei Sexy Villain zurück, wo sie ihr Alter Ego – den Sexy Villain – vorstellt. Da wird’s quirky und euphorisch. Remi schließt das Album mit Wohlfühlsound namens Buzz Me In, dessen Text man wieder als Referenz auf Alkohol interpretieren kann und dem Closer Street You Live On. Dort hört man den Einfluss von Gruska, der mit Remi inhaltlich einen Weg gefunden hat, einem Ex-Freund erfolgreich auf den Straßen L.A.s aus dem Weg zu gehen. Sie kommt hier an ihre stimmlichen Grenzen, versucht sich im Falsett, was sich gerade noch ausgeht. Das Jaulen einer schrillen Gitarre zum Ende des Lieds hin darf auch nicht fehlen, Gruska baut solche Stilmittel regelmäßig bei Phoebe Bridgers ein. Damit endet das Farbspiel auch schon.
FAZIT
Juno ist euphorisch, bunt und strotzt vor Kreativität. Es gibt nicht viele Dinge zu bemängeln, Remi Wolf konnte ihr Vorhaben, die Regeln des Pop zu brechen auch sehr gut in die Tat umsetzen. Klar, das Songwriting besticht vor allem durch gut gemeinten, manchmal missinterpretierten Nonsense und könnte noch klarer und direkter formuliert werden. Der Sound folgt einem Faden, wenn man von Sally absieht, das nicht ganz zum Rest passt. Jedenfalls konnte Remi Wolf dem Hype um ihre Person gerecht werden und ein beachtenswertes Debüt abliefern. Die Zukunft gehört ihr.
4/5 Pandroids
Früher Sängerknabe, heute zwischen Fußball, Football und viel Musik. Im Herzen immer Punker.