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SNAIL MAIL – VALENTINE

© Matador Records

Lindsey Jordan meldet sich mit ihrem zweiten Album Valentine zurück. Unmissverständlich macht sie klar: Um ein gebrochenes Herz heilen zu können, muss man durch die Scheisse gehen. Also – die Gitarre wird eingesteckt, der Synthi bedient und die Aufarbeitung kann starten.

BACKGROUND

Snail Mail ist das Solo-Projekt der US-Amerikanischen Sängerin Lindsey Jordan, die 2018 mit ihrem Debütalbum Lush große Erfolge feiern konnte. Obwohl damals noch zarte 18 Jahre alt, konnte sie mit ihrem Songwriting bestechen und sich in die Riege der vielen jungen und talentierten Künstlerinnen einordnen, die dem Indie-Rock neues Leben einhauchten. Direkt nach der Veröffentlichung von Lush begann Lindsey mit dem Schreiben neuer Songs, konnte aber auf Grund von Tourneestress nur wenig aufs Papier bringen. Die Pandemie und der damit einhergehende Lockdown half ihr schließlich, sie verbrachte einige Zeit in ihrem Elternhaus in Baltimore und konnte dort endlich die Schreibblockade lösen. Im November 2020 ließ sie sich für 45 Tage in eine Reha-Klinik in Arizona einweisen, ohne den genauen Grund ihres Aufenthalts bekanntzugeben. Erholt und voller Elan, nahm sie Anfang 2021 zusammen mit Brad Cook in dessen Studio in North Carolina ihr zweites Album Valentine auf. Zehn Songs mit einer Laufzeit von knapp 32 Minuten kann sie uns nun präsentieren.

LYRICS

Valentine darf als Reise verstanden werden. Ein Herz wird gebrochen – oder muss gebrochen werden – und Lindsey muss mit der Situation zurechtkommen. Das Album handelt ganz klar von der Liebe zwischen Frauen oder eben dem Verlassen von einer Frau. Gleich im titelgebenden Opener Valentine klagt sie an:

So why’d you wanna erase me, darling valentine?

Sie gibt aber auch schnell eine Option mit auf den Weg:

You’ll always know where to find me when you change your mind

Vorwerfen will sich Lindsey nichts lassen. Sie hat offenbar um ihre Beziehung gekämpft, wie sie in Ben Franklin ausführt:

Sucker for the pain, huh, honey?
But you said you’d die
You wanna leave a stain
Like a relapse does when you really tried
And damn, this time, I really tried

Moved on, but nothing feels true
Sometimes I hate her just for not being you

Man hängt eben immer noch an der verflossenen Liebe, dass man der neuen Flamme diesen Vorwurf machen kann. Lindsey wuchs in einem relativ stark katholisch-geprägten Umfeld auf, weshalb sie in ihren Texten immer wieder biblische oder kirchliche Symbole, Werte und Figuren einbaut. Mit Madonna und Glory lassen sich zwei Songs schon am Titel als religiös-geprägt identifizieren.

I consecrate my life to kneeling at your altar
My second sin of seven being wanting more
Could that have been the smell of roses, backseat lover?
Praying you’d fill my empty cup
Or cursing myself for even getting dressed up

Vom Geben und Nehmen in einer Beziehung hält Lindsey sehr viel. Im angesprochenen Glory singt sie im Refrain etwa:

You owe me
You own me
I could never hurt you, my love
You know me

Im Closer Mia erinnert sie sich an gemeinsame Rituale aus dem Alltag. Ein Song der davon handelt, mitten in der Nacht aufzuwachen und für den kurzen Moment zu glauben, dass die Trennung nicht passiert sei. Bis man sich daran erinnert und mit sich selbst im Reinen ist.

Isn’t it strange
The way it’s just over?
No late night calls
You’re not here to walk me to my door
Now I just love you more

Mia, don’t cry
I love you forever
But I’ve gotta grow up now
No, I can’t keep holding on to you anymore
Mia, I’m still yours

REVIEW

Lindsey empfiehlt das Album in der richtigen Reihenfolge zu hören, um die ganze Pracht von Valentine genießen zu können. Ganz ruhig beginnt sie mit Valentine, ein paar Synthis starten den Song, bis das Schlagzeug dazukommt und wenig später eine Gitarre einen Akkord zerlegt. Das Lied baut sich zum Refrain auf, steigert sich unüberhörbar und wird zu einer echten Anklage, wenn sie fragt, warum die Partnerin sie aus ihrem Gedächtnis oder Leben löschen will. Das Schlagzeug wird richtig tight, die Gitarren laut und Lindsey singt mit großem Selbstvertrauen darüber. Das Break zum Ende passt da nur umso besser hinein, zumal sie immer wieder wiederholt, dass sie die Partnerin anbetet bzw. bewundert.

Ben Franklin lässt die Gitarren erschrillen und wenig später im Duett mit Lindseys Stimme parallel mitgehen. Den Rest dieser eingängigen Nummer machen die Synthis und ein sehr mächtiger Bass, der sich in die Instrumentengruppe harmonisch einbauen kann. Zum Star dieses Lieds wird das Klavier und die Gitarre in der Bridge. Lindsey beweist hier – auch auf Grund von Brad Cook – außerordentliches Gespür für Indie-Rock. Das verträumte Klavier kehrt auch im darauffolgenden Headlock zurück, das die Schlichtheit des restlichen Instrumentals mit einfachen Kniffen aufwertet. Lindsey singt mitunter relativ tief, kann diese Ebenen aber mit Sicherheit meistern. Der Mix aus zerlegten Gitarren-Akkorden und Klavier-Akzenten samt anklagender Frage Are you lost in it too? muss sich vor dem Rest des starken Albumstarts nicht verstecken.

Eine akustische Gitarre bildet den Grundstein für Light Blue, ehe ein Klavier dazu kommt und Streicher einsetzen. Lindsey hat diesen Song schon mit 19 Jahren für eine Ex-Freundin geschrieben. Ein Lied über die anfängliche Begeisterung einer Beziehung und die langsam aufkommenden Zweifel, die schlussendlich zum Entschluss führen, nicht mehr zurückzukommen. Light Blue ist die ruhigste Nummer dieses Starts, verliert aber dadurch nichts an Kraft.

Ein enorm tightes Schlagzeug samt gepitchten Gitarren lassen Forever (Sailing) starten. Im Laufe kommt wieder ein Klavier dazu und umrahmt Lindseys Vortrag mit einer dezenten Portion Wärme. Das Lied verwendet ein Sample von Madleen Kanes You and I, hat aber nur sehr wenig mit dem Dance-Song aus dem Jahr 1994 zu tun. Brad Cook und Lindsey Jordan verstehen ihr Handwerk, die Musik unterstützt die Texte in jeder Sekunde.

Bass und Schlagzeug zusammen mit Lindsey und eine langsam dazukommende Gitarre samt Klavier – damit steht das Grundgerüst für Madonna. Der Synthi schwebt in der zweiten Strophe mit, die allgemeine Stimmung darf als leicht radioheadesque bezeichnet werden. Durch die verschiedenen Songteile – die Hand in Hand miteinander gehen – wird den Hörer:innen ein runder und sehr schöner Track geboten, der alle Facetten von Snail Mail zeigt und ihre Stärken hervorhebt.

Nicht dass man auf Valentine einmal durchschnaufen und Luft holen müsste, aber Lindsey bietet unns mit c. et al die Möglichkeit dazu. Hier gibt’s nur sie und ihre Gitarre, worüber man sich nicht beschweren kann. Hörbar verletzt raunzt sie den Schlussvers raus, manchmal bricht die Stimme ein wenig, manchmal wird sie zum Ende der Phrasierung absichtlich leiser und nimmt Kraft heraus. Mit mehr Schwung holt sie uns wieder in Glory ab, einer lauteren Nummer, die trotzdem aber noch den Schleier des restlichen Albums vor sich hinträgt. Das Schlagzeug und die Gitarre gehen einen gemeinsamen Weg, die Schlüsselstelle im Refrain wird in Nuancen an den Indie-Rock der frühen 00er Großbritanniens erinnern, steht aber schlussendlich doch auf eigenen Beinen.

Weit über Lindseys Stimme und ihrer Gitarre, schwebt in Automate ein Klavier, das nur wenige Töne anschlägt und dem Lied damit eine breitere Fülle gibt. Die Synthis und die Mischung aus lauten, manchmal bösen E-Gitarren und der ruhigen Akustischen sorgen für einen weiteren sehr soliden Indie-Rock-Song.

Das Finale stellt Mia dar, ein Lied, dass sanft startet und sich trotz des Textes viel wärmer anfühlt, als es vermutlich sollte. Lindsey packt Streicher aus, die mit dem einmal mehr dezenten, aber wichtigen Klavier für die große und mächtige Stimmung sorgen. Der Schlusstrack muss sich in keiner Weise für seine schüchterne Opulenz schämen, Mia beschließt ein starkes Zweitwerk einer jungen und sehr guten Songwriterin.

FAZIT

Snail Mail bzw. Lindsey Jordan macht auf ihrem zweiten Album Valentine nichts für das Genre überraschendes oder außergewöhnlich Gutes – zumindest auf den ersten Blick. Einige Hörer:innen könnten dem Album nach erstmaligem Hören vielleicht gar eine gewisse Langeweile unterstellen, die aber schnell vergeht, wenn man die Scheibe noch einmal auflegt. Die halbe Stunde vergeht wie im Flug, je öfter man die Platte hört, desto mehr wird man sich in sie verlieben und sie zu schätzen wissen. Alles was man hört ist gut – einzig die Albumlänge bleibt ein Manko. Ein, zwei Songs mehr hätten Valentine noch gutgetan. Andererseits muss man auch sagen: Die erzählte Geschichte ist rund und lebt vermutlich gerade von der aufs wesentliche heruntergebrochenen Komprimierung. Dennoch kann man dem Album ohne schlechtes Gewissen eine hohe Wertung geben.

4/5 Pandroids

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