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ADELE – 30

© Columbia Records

Adele ist zurück.

BACKGROUND

Sechs Jahre hat sie uns warten lassen. Sechs lange Jahre. Wie üblich wird ihr Album nach ihrem Alter bei Aufnahmezeitpunkt benannt – nach 19, 21, 25 folgt jetzt 30. Passiert ist extrem viel seit ihrem Wahnsinnserfolg vor sechs Jahren: Adele hat geheiratet und sich scheiden lassen. Dementsprechend vieles gibt es auf dem neuen Werk aufzuarbeiten. Die große Vorabsingle Easy on Me spaltete zwar die Musikwelt, sorgte aber auch für neue Streamingrekorde und dominiert weltweit die Charts. So wie es auch 30 tun wird.

REVIEW

Fast eine ganze Stunde nimmt sich Adele Zeit, um sich die Sorgen, den Kummer und die Zweifel von der Seele zu singen. Darüber handeln die Texte – manchmal mit weniger, meistens aber mit viel Nachdruck und viel Ehrlichkeit. Es ist ein melancholisches, manchmal düsteres, mitunter aber auch wieder halbwegs heiteres Album, dass sie ihren Fans bietet. Die Anordnung der zwölf Songs spielt dabei eine große Rolle, chronologisch gibt sie ihre verschiedenen Stimmungen und Erlebnisse wieder. Spotify hat auf ihre Bitte hin sogar die Shuffle-Funktion bei Musikalben deaktiviert (was man sehr begrüßen kann).

30 startet mit einer Ballade: Strangers By Nature – eine Hommage an Judy Garland, von denen sich auf diesem Album noch einige mehr finden lassen. Streicher, manch verspieltes Instrument versteckt sich im Orchester, über das sie drüber singt. Der Opener zeigt die weitere Richtung auf, es wird orchestral und groß – und auch ein wenig unangenehm, wenn man die ersten Zeilen genauer betrachtet: I’ll be taking flowers to the cemetery of my heart

For all of my lovers in the present and in the dark / Every anniversary, I’ll pay respects and say I’m sorry. Aber es ist Zeit für fette Balladen. Dass kurz darauf Easy on me folgt, wundert dementsprechend nicht. Eine Klavierballade, die man von Adele auch schon öfter gehört hat. Easy on me polarisierte bei Release, der große Wumms schien ihr nicht gelungen, zu ähnlich klang der Song vergangenen Hits. Klar, es ist nie verkehrt, Adele singen zu hören – von der Lässigkeit eines Rolling in the Deep fehlte aber jede Spur. Dafür wird man Zeuge ihres Lebenslernprozesses. Und wenn man ehrlich ist – so übel ist der Song auch nicht.

Von Tyler, the Creator und Skepta ließ sie sich zum Einbau von Sprachnachrichten inspirieren. Die bekommt man in My Love zu hören, wo sie immer wieder Gespräche zwischen ihrem Sohn Angelo und sich verwendet. Das Lied ist groß, mit mächtigen Streichern ausgestattet und schafft trotz des gar nicht so einfachen Themas der Offenlegung ihrer Probleme ihrem Sohn gegenüber eine äußerst angenehme Atmosphäre. Es handelt sich zudem um den ersten von fünf Songs, mit einer Dauer von über sechs Minuten. In dem Fall gar nicht so übel.

Und plötzlich ändert sie die Stimmung schlagartig. Cry Your Heart Out verbindet Motown mit Reggae samt einem anfänglich gewöhnungsbedürftigen Stimmfilter im Refrain. Im Kontext zum restlichen Album gesehen, steht der Song bzw. die folgenden im leeren Raum. Als einzelne Single aber durchaus erfrischend, zumal immer wieder eine kleine Prise Amy Winehouse aufblitzt. Wir haben in diesem Jahr schon sehr viele Sachen hören dürfen, aber dass Adele sich ausgerechnet Ed Sheeran zum Vorbild nimmt – damit war nicht zu rechnen. Oh My God erinnert an die wenig trickreichen Kniffe von Sheeran, mehr muss man zu diesem Track auch nicht sagen. Dafür könnten uns die Zeichen für das folgende Lied ausgehen: Max Martin produzierte zusammen mit Shellback den Song Can I Get It und die Antwort auf diese Frage kann nur lauten: Nein! Natürlich werden hier äußerst ohrwurmpotentielle Phrasen erschaffen, der Refrain und alles was danach kommt ist zum einen aber eher altbacken und zum anderen eine schlechte Kopie von den maximal durchschnittlichen Songs, die Lorde im vergangenen Sommer veröffentlichte. Das Gepfeife und die akustische Gitarre samt den sehr halbherzigen Chören im Hintergrund ist eine Adele nicht würdig. Max Martin hätte diesen Song irgendjemand anderen geben sollen. Ein Satz mit X das war absolut gar nix.

Zum Glück erholt sie sich von diesen zwei sehr dürftigen Nummern wieder und kann mi I Drink Wine eines der Highlights des Albums liefern – auch wenn man sich auch hier ein wenig mit dem Arrangement anfreunden muss. Ein Klavier ist ja nie ein Fehler, die Art und Weise des Refrains mutet zunächst aber ein wenig spurabweichend an. Bewusst, wie sie sagt, singt sie den Refrain bei jedem Durchgang ein wenig anders. Je länger das Lied schließlich dauert ­– und wir haben hier wieder einen sechs Minuten-Kallauer ­– desto besser wird es. Zu einem Interlude, das auch eine Drummahine bietet, kommt es in All Night Parking. Wohltuend, ein wenig verträumt, keine wilden Höhen, sondern ruhige, aber vorantreibende Intonation. Ja, wieder ein bisschen Amy.

Dass so eine Trennung nicht nur mit Enttäuschung, sondern auch Wut von statten geht, hört man in Woman Like Me, in dem sie ihrem Ex-Mann ausrichtet, dass er nie wieder eine Frau wie sie finden wird und sich gleichzeitig über seine Faulheit aufregt. Sie spricht einige Dinge sehr direkt an – aber viel passiert in den fünf Minuten nicht. Ein vor sich hinplätschender Track, wichtig für sie persönlich, aber nichts Außergewöhnliches für uns (und dass obwohl Inflo hinterm Produzentenpult saß). Vom Swag Inflos fehlt auch in Hold On jede Spur. Leider. Sechs Minuten Klavier und Gesang mit Gesang von einem Chor, der leider durch sehr dünne Stimmen auffällt. Man muss zerren und ziehen, bis was weiter geht. Irgendwann kommt schon Stimmung auf.

Der vorletzte Titel von 30 stellt auch die massivste Ballade des Albums dar. In To Be Loved singt sich Adele alles von der Seele und vom Herz. So sehr, dass ihre Stimme teilweise zu brechen droht und sie schon angekündigt hat, dieses Lied live nicht spielen zu werden. Es ist ein Brett, ein Duo zwischen ihrem Gesang und ein paar Klavierakkorden. Niemand wird bestreiten, dass Adele nicht außerordentlich gut singen kann – also fantastisch singen kann – aber wie so oft stößt man hier an das Problem, dass die minimalistische Produktion nicht das volle Potential herausholen kann. Hier wären Streicher angebracht gewesen, hier hätte man den Song wirklich voll aufladen können. So fühlt sich das Lied ewig lange an und man sehnt sich nach etwas Neuem.

So macht es Inflo im Closer Love Is A Game und schafft es damit auch, die 6:43 Minuten spannender zu gestalten. Sicher sind diese Balladen auf ihre Art und Weise fett und manchmal eben auch übertrieben groß, was den Spagat zwischen Kitsch und Weltklasse schwer zu bewältigen lässt.

FAZIT

Soul und Jazz bei sehr wenig Pop steht im Zentrum von 30. Ein Album für alle, die frisch geschieden sind oder eine Trennung hinter sich haben und sich mit einer Freundin ausweinen wollen oder müssen. Die großen Hits der Vergangenheit fehlen, die Balladen fallen im Großen und Ganzen durch Überlänge auf. Ihr Songwriting besticht und rettet die ein oder andere Nummer vorm Ausfall. Angesichts der Vorfreude, die dieses Album auslöste, kann man von einer mittleren Enttäuschung sprechen. Die Langeweile übertrumpft leider die Aufregung. Manche Experimente sind im Kontext einfach fehl am Platz. Kein Totalausfall, aber auch kein bahnbrechender Sound von Adele.

2,5/5 Pandroids (5/10)

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