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LOW – HEY WHAT

© Sub Pop Records

Wenige Bands haben ein Genre so dominiert und definiert, als die amerikanische Gruppe Low. Seit 1993 bereichern sie die Indie-Szene und gelten als Begründer des „Slowcore“. Im September ist ihr 13. Studioalbum Hey What erschienen – zum ersten Mal nur noch im Duo.

REVIEW

Diesmal ohne Bassisten unterwegs, erfindet sich Low auf Hey What zu einem gewissen Grad neu. Alan Sparhawk und Mimi Parker können auch zu zweit für ordentlich Krawall sorgen. Hey What wurde wie schon der Vorgänger Double Negative aus dem Jahr 2018 von BJ Burton produziert, der in der Vergangenheit unter anderem mit Charli XCX, Bon Iver oder Lizzo zusammenarbeitete. Die Platte kann für Hörer:innen herausfordernd sein. Alan und Mimi scheuen sich nicht vor Experimenten, je größer die Verzerrung, desto besser. Zehn Songs, 46 Minuten – und keine Sekunde Langeweile. Schon der Opener White Horses zeigt auf, was das Duo auf dem Album machen will: Schöne Gesangseinlagen mit purem, mächtigem Lärm untermalen. Sie reizen die Versuche bis zur Grenze aus, ohne sie zu überschreiten. Bestes Beispiel hierfür dürfte der Song Days Like These sein, dessen Einstieg ganz einfach fällt, dessen Steigerung sich aber nur schwer in Worte fassen lässt. Die Harmonien stimmen, obwohl das Chaos regieren darf. Das zieht sich durch die gesamte Platte durch. Zwischenzeitlich hat man das Gefühl, wieder bei der Geburt eines neuen Genres dabei zu sein: Dem Gospel-Noise. Days Like These könnte ein gepimptes Kirchenlied sein, dessen Dämonen mit den übersteuerten Verzerrungen ausgetrieben werden.

Hey What funktioniert als gesamtes Werk. Die Übergänge sind nicht immer hörbar, die Lieder knüpfen nahtlos aneinander an und man merkt Nummern wie Hey oder dem Closer The Price You Pay deren massive Länge von über sieben Minuten nicht an. In der Verzerrung und der bewussten Vermischung entstehen wunderbar abstrakte Klänge, die genau deshalb ihre Schönheit entfalten können. Low besinnt sich fast auf die Urformen klassischer Musik, All Night hat einen rondoartigen Aufbau, unterbricht den Lärm durch kurze Breaks, was eine bewusste Atempause schafft. Über die Harmonie zwischen Alan und Mimi muss nach knapp 30 gemeinsamen Jahren nicht mehr viel gesprochen werden, die beiden wissen, wie sie das Maximum herausholen. In Disapparing schleift sich der Sound um den Gesang, wie in Teig, den man kneten muss, kann man sich im experimentellen Ambiente verlieren.

Während Don’t Walk Away noch versucht, sich als unschuldig ruhige Nummer auszugeben, knallt Low den Hörer:innen kurz darauf in More alles was sie haben direkt ins Gesicht. 2:10 Minuten die wieder einmal den Spagat zwischen unendlicher Verzerrung und feinem Zweigesang schaffen.

FAZIT

Tipp für alle die das Album zum ersten Mal hören: Diese Platte sollte nicht unterschätzt werden und vorzugsweise zunächst in passender Lautstärke genossen werden. Eure Ohren werden es euch danken. Low hat in all den Jahren immer noch den Drang, sich zu verändern und vor allem auch den Mut, die Gedankenspiele umzusetzen. Das können nur sehr wenige Bands von sich behaupten. Hey What zeigt auf, dass Harmonie nichts mit Eintönigkeit zu tun haben muss und dass Gegensätze sich gut eingesetzt in der Tat anziehen. Die Fähigkeit, Klänge die beim ersten Mal hören noch als Lärm wahrgenommen werden in wohltemperierte Musikkonstrukte aufzulösen, ist bewundernswert. Diese Platte wächst mit jedem Durchgang. Wer anfänglich damit zu kämpfen hat, dem sei an dieser Stelle gesagt: Haltet durch, ihr werdet mit einem extrem guten Album belohnt.

4,5/5 Pandroids (9/10)

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