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TURNSTILE – GLOW ON

© Roadrunner Records

Wenn Hardcore-Bands ihre weiche, melodiöse Seite entdecken, kann man in der Regel von einem mittelschweren Unfall ausgehen. Die amerikanische Band Turnstile nimmt sich dieser Herausforderung an und präsentiert auf ihrem dritten Album Glow On gewohnt aggressive Seiten – aber auch ganz neue Facetten.

BACKGROUND

2010 in Baltimore gegründet, veröffentlichte die fünfköpfige Band bisher zwei Studioalben, mit durchschnittlichen Kritiker-Wertungen. Die Vorfreude auf das dritte Album Glow On war dementsprechend nur bei Fans der Hardcore Punkband gegeben, alle anderen blickten dem Erscheinen der neuen Platte nur bedingt hoffnungsvoll entgegen. Ja, Turnstile ist eine weitere Band die sich in härteren Sphären wohlfühlt und vermutlich auch daran bastelt, einmal im Soundtrack eines Tony Hawk-Spiels unterzukommen. Jetzt hat sich die Gruppe aber umorientiert oder zumindest ein paar Kniffe ihrem Repertoire hinzugefügt. Die sturen Powerchords sollen abwechslungsreicher gestaltet werden.

REVIEW

Davon hört man im Opener Mystery noch nicht sehr viel. Ein klassischer Hardcore-Punk-Eröffnungssong, von denen es unzählige gibt. Ihr könnt euch eine Referenzband nach Wahl aussuchen, wir gehen mit Strike Anywhere. Mystery ist kein schlechtes Lied, erfüllt alle Checkboxen eines Punksongs – mehr aber auch nicht. Solider Start. Von den Neuerungen hört man noch nicht viel. In Blackout kann man sehr viel von frühen Songs der Beatsteaks heraushören. Eingängiges Riff, eingängiger Gesang, Steigerung im Refrain aber trotz der massiven Energie verliert die Band nie das Gespür für die richtige Stimmung. Das Percussion-Break darf zudem als gelungene Abwechslung angesehen werden. Zum Ende kippen sie in richtig harte und satte Riffs ­– wie gesagt, erinnert an Songs der Beatsteaks aus der Launched–Ära.

Das Tempo wird auch auf Don’t Play sehr hochgehalten. Die Gitarren geben die Richtung vor, bis es im Refrain zu einem Wechsel hin zu Klavierunterstützung und auffälliger Percussion gibt. Das Riff lädt zum Headbangen ein, auch wenn es in keiner Weise irgendwie neu wäre oder irgendetwas erfinden würde. Nach dieser energiegeladenen Volltempo-Nummer kommt das verträumte und verspieltere Underwater Boi gerade recht. Die Band nimmt sich hier Zeit um etwas aufzubauen. Die tiefen Riffs kommen nur ganz dezent im Refrain, der Star bleibt in der ersten Hälfte vor allem das Schlagzeug und die Gitarre. Turnstile wählt bewusst einen reduzierteren Weg, legt Breaks und Soli ein und kann so zum ersten Mal richtig eine neue Seite zeigen.

Der Bass darf in Holiday zunächst glänzen, ehe das elektrische Schlagzeug unterstützt und wieder harte Riffs dazukommen. Das Schlagzeug auch spannend, der Gesang in der Strophe ein wenig Beastie Boys, zum Refrain wieder mehr Strike Anywhere. Holiday macht auf Grund seines Aufbaus und seiner Divergenz durchaus Freude, man versteht es mit unterschiedlichen Tempi zu spielen und dementsprechend auch Stimmungen aufzubauen. Humanoid / Shake It Up fordert den innersten Joey Ramone heraus, nur um in der zweiten Hälfte des 1:09 Minuten kurzen Stücks wieder in Richtung System of a Down abzudriften. Das darauffolgende Endless unterscheidet sich auf den ersten Blick nur marginal von Blackout, schafft dennoch den Turn zum eigenständigen, schnellen Uptempo-Song, der getrost als reine Punk-Nummer gesehen werden darf. Schlagzeug-Breaks sind zudem immer King. Und plötzlich ein Klavier in prominenter Position. Fly Again wird von einem Piano eröffnet, von Chimes begleitet und von den E-Gitarren abgelöst. Im Hintergrund spielt sich eine dieser Gitarren in Trance und sorgt so für einen gelungenen Touch an Feinheit. Langsam kauft man ihnen ihren Drang zur Erneuerung ab.

Blood Orange oder Dev Hynes – je nachdem wie er sich gerade nennt – schaut auf diesem Album zwei Mal vorbei. Im an Tame Impala angelehnten Alien Love Call und dem Closer Lonely Dizires. Während ersteres Feature eben dadurch auffällt, sich beim nächsten Kevin Parker-Imitationswettbewerb auf den vorderen Rängen wiederzufinden, geht es im zweiten Feature wieder poppunkiger zur Sache. Hier bleiben sie sich schlussendlich doch noch treu und wollen das Album nicht mit neuem Zeug beenden – bis doch noch ein rund einminütiges Instrumental folgt, das wieder ins wolkige Traumland einladen soll.

Zuvor geben sie in Wild Wrld alles, um die Bewerbung für den Tony Hawk-Soundtrack auch endlich erfolgreich zu absolvieren. Ernsthaft: ein kleiner, feiner Skate-Punk-Song, der niemandem weh tut und ein gutes Tempo mit sich bringt. Das Zusammenspiel an Gitarren und Schlagwerk wird in Dance-Off noch einmal erfolgreich unter Beweis gestellt. Eine weitere absolute Banger-Scheibe, der man sich nur schwer entziehen kann. Punk ist manchmal so einfach und schön, vor allem wenn er größer gedacht wird und mit einigen elektronischen Mitteln ergänzt wird.

Die Hits gehen Turnstile nicht aus, New Heart Design fällt mit einer ganz feinen Melodie auf, die sich im Refrain wieder mächtig entlädt. Wegen Songs wie diesem kann man den Ausdruck „Dream-Punk“ im Zusammenhang mit ihnen verstehen. T.L.C. ist dann für einen knapp zweiminütigen Moshpit gedacht, hier wird alles was sie an Lautstärke und Powerchords haben herumgeworfen. Ein bisschen The Offspring schaut auch noch vorbei. Aber plötzlich wieder Break und Kuschelstimmung.

FAZIT

Wie viel Freude kann ein Album eigentlich machen? Turnstile kommt mit brachialer Wucht um die Ecke, vergisst dabei aber nicht, verschiedenste Einflüsse in ihrer Musik zu verarbeiten. In der einen Sekunde fühlt man sich noch bei den Ramones, in der anderen schon im derbsten Hardcore-Moshpit. Viele Bands versuchen sich an diesem Spagat, scheitern dann aber meistens an der eigenen Mutlosigkeit oder zu engstirnigen Ideen. Turnstile beweist mit Glow On das Gegenteil. Ein erfrischendes Album voller Banger, mit manchen kleinen Schwächen, die es eben noch nicht ganz perfekt machen. Mal schauen, was sie sich für die nächste Platte einfallen lassen.

4,5/5 Pandroids (schwache 9/10)

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