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Nach dem bärenstarken Debüt im vergangenen Jahr, kann Black Country, New Road mit Ants from up there eindrucksvoll nachlegen. Dennoch scheint das selbstgeschriebene Märchen noch vor dem großen Happy End schon zu Ende zu gehen.
BACKGROUND
Black Country, New Road kam aus dem nichts und eroberte seit 2019 sukzessive die Indie-Szene. Mit dem hochgelobten und ziemlich fantastischen Debüt-Album For the First Time (Platz 37 unseres Jahresbestenliste), wurde die Band endgültig zu Everybodys Darling der Anhänger experimenteller Rock-Musik. Nominierungen für renommierte Preise, wie etwa dem Mercury Prize, folgten. Eigentlich konnte man davon ausgehen, dass es erst mal reichen würde und die Gruppe mit dem bisher veröffentlichten Material um die Welt touren würde. Umso erfreulicher erreichte Fans dann die Nachricht, dass das Septett unmittelbar nach Veröffentlichung der ersten Platte schon am zweiten Album arbeitete. Ants from Up There. Im Gegensatz zum Debüt, wollte man leichter zugängliche Musik kreieren. Der Hype stieg nach dem Rollout der ersten Singles, bis vergangene Woche, als Leadsänger – oder auch Leadvocalist, da auch ordentlich gesprochen wird – und Gitarrist Isaac Wood auf Grund persönlicher Probleme seinen plötzlichen Abschied aus der Band verkündete. Vier Tage vor Release des neuen Albums, steht die Band damit vor einer Neustrukturierung. Dieses geordnete Chaos passt irgendwie zu BCNR und deren Sound. Aufgenommen wurde das Album live im Studio, produziert von Sergio Maschetzko, dem Toningenieur für Liveauftritte der Band.
REVIEW
Klavier, Mandoline, Saxophon, Bass, Keyboard, Drums, Violine, Gitarre – alle Instrumente der Band kommen schon im rein instrumentalen, knapp einminütigen Intro zum Einsatz. Die Band gibt einen ersten Vorgeschmack auf die neue Richtung: immer noch chaotisch, aber trotzdem neugierig machend, mit dem Hang zu eingängigen Melodien.
Verträumt aber mit dem unbändigen Drang nach vorne begrüßt uns Chaos Space Marine: Das Klavier im Zentrum, die Percussion schlägt ein, das Saxophon dröhnt nach oben und Isaac singt, fast schon wie Bowie. Die Tempowechsel, die sich in aufregenden Arrangements auflösen und gleichzeitig den Fokus auf immer wechselnde Instrumentengruppen legen, bestimmen den Track. Concorde darf gerne als Leitmotiv des Albums gesehen werden. Am Cover prangt ein eingepacktes Flugzeug, ein Thema, das sich immer wieder findet. Ruhig wird gestartet, immer mehr Fahrt aufgenommen und man kann auch hören, dass sich die Band massiv von Arcade Fire beeinflussen hat lassen. Von einer bloßen Kopie der kanadischen Band kann man dennoch nicht sprechen, zu aufwendig gestaltet sich der Songaufbau, zu viel passiert in den sechs Minuten. Die Gitarre, das Sax und der Bass bekommen Raum, die Mandoline ebenso. Isaac singt über Liebe und das Altwerden, alles stimmt zusammen.
Viel dezenter starten sie in Bread Song, das sich zu einer großen Beziehungs-Ode entwickelt. Man könnte diesen Track vielleicht als düster bezeichnen, jedenfalls aber als dramatisch, mit ordentlichen Becken und einer extrem abhängig machenden Percussion in der Hälfte des Songs. Fast schon ungläubig blickt man auf die Songdauer von sechseinhalb Minuten, zu viel passiert hier, zu schön löst sich der düstere Touch des Beginns in einen extrem harmonischen Schlussteil auf. Don’t eat your toast in my bed singt Isaac, mit Timbre, das man durchaus auch Morrissey geben könnte.
Plötzlich kommt Billie Eilish daher. Neben Arcade Fire gilt auch das neueste Album der US-amerikanischen Sängerin als großer Einfluss für Ants from Up There. Die Band macht zwar experimentellen Rock, alle Mitglieder hören privat aber äußerst gerne Pop-Musik. Good Will Hunting ist natürlich kein seichter Pop-Song noch gibt es ein tatsächliches Feature mit Billie, dafür wird ihr Name im Refrain erwähnt. Die Melodie wird vom Klavier, dem Bass und der Gitarre geprägt, zunächst noch in akustischer, später in lauterer Form. Isaacs Gesang verschwindet fast schon hinter den Instrumentklängen seine Kollegen.
Wenn das Saxophon starten darf, weiß man meistens, dass die Band möchte, dass man genau zuhört. Haldern, dessen Name auf das Haldern Pop-Festival in Deutschland zurückgeht, stellt das Sax in das Zentrum, lässt es im Wechsel mit den Gitarren und dem Klavier glänzen, bis die Violine einen Großteil der Melodie übernimmt. Was so einfach klingt, beeindruckt bei genauerer Betrachtung noch mehr. Die Arrangements dieses Albums scheinen trotz der Divergenz der verschiedenen Klangkörper und Instrumente so selbstverständlich, dass man sich fragt, warum nicht jede Rockband auf ein ähnliches Lineup zurückgreift. Haldern endet schrill, aber nicht schlecht.
Lewis Evans, Saxophonist und Flötist der Band, zollt mit Mark’s Theme seinem an Corona verstorbenen Onkel Tribut. Komplett ohne Gesang vorgetragen, kann man sich in den Instrumenten verlieren und trotz des traurigen Themas Frieden finden.
Die letzten drei Songs machen gut die Hälte der Albumlänge aus. The Place Where He Inserted the Blade macht den Auftakt und dauert mit 7:13 Minuten noch am kürzesten. Die Flöte kommt zum Einsatz, das Klavier begleitet sie und Isaac, der wieder über Liebe singt. Man kann in seinen Texten schon sehr viele Hinweise auf seine Probleme mit mentaler Gesundheit finden und ihm nur wünschen, dass er sich von den Strapazen der vergangenen Monate erholt. Der Song zählt zu den absoluten Highlights des Albums, wieder schafft es Black Country, New Road einen Bogen über viele verschiedene Teile zu spannen und verschiedene Stimmungen zu präsentieren (auch weils zwischenzeitlich über Chicken, Broccoli and everything geht).
Wie in Mittelerde fühlt man sich in den ersten drei Minuten von Snow Globes, Isaac beginnt erst dann mit seiner Stimme einzusetzen. Die Keyboardorgel bleibt dezent im Hintergrund, die Violine und die Gitarre bleiben an seiner Seite, bis das Schlagzeug und Saxophon dazukommen. Drummer Charlie Wayne imitiert ein Feuerwerk, das sich in den Vordergrund drängt. Ob bewusst oder nicht, bleibt dahingestellt – irgendwann sind die letzten Raketen verschossen und die Streicher und Zupfer sind wieder allein unterwegs. Man bewegt sich mit ihnen mit, sieht die friedliche Natur vor sich und nickt zufrieden, wenn der letzte Akkord verstummt.
Bleibt noch der Closer Basketball Shoes, der schon seit geraumer Zeit zu den Fanlieblingen zählt und auf diversen Konzerten gespielt wurde. Zum Glück wurden die Lyrics stark überarbeitet, in der Rohversion sang Isaac sehr, sehr, sehr gewöhnungsbedürftig über einen Sextraum mit Charli XCX. Das wurde jetzt entschärft und in einen knapp 13-minütigen Epos zusammengefasst. Alles was die Band hat, wird hier gezeigt, alles was sie ausmacht, wird hier zusammengefasst. Im Grunde genommen handelt es sich bei Basketball Shoes um mehrere Songs, die man vereint hat – und um ein musikalisches Thema, das in der ein oder anderen Form schon an anderen Stellen der Platte zu finden war. Die ersten sechs Minuten gehören hauptsächlich den Instrumenten bzw. dem Saxophon, ehe ab 6:25 die Violine und die Gitarre einen neuen Teil einleiten. Wieder erinnert man sich an Arcade Fire oder andere (Mainstream)Indie-Bands, bis das Sax wieder zu erkennen gibt, dass Black Country, New Road anders ist. So schnell der Mittelteil kam, so schnell vergeht er auch wieder und ein vermeintlich leises Break baut sich zu ordentlichem Krawall auf. Die vielen Stimmen und Ebenen dieses Songs, machen ihn zu etwas Außergewöhnlichen, ein Closer, der auch das Ende einer Ära darstellt und dieser alle Ehre erweist.
FAZIT
Ants from Up There ist ein einstündiges Brett aus zehn Songs. Der Sound hat sich in der Tat verändert, die Musik wird bei Hörer:innen leichter aufgenommen werden können. Natürlich kratzen manche Songs an Überlänge, schaffen es aber dennoch sich so spannend zu entwickeln, dass man vergisst, dass es sich bei dem ein oder anderen Track immer noch um dasselbe Lied handelt. Die Produktion ist angesichts des Umstands, dass Sergio Maschetzko noch nie etwas vergleichbares produziert hat, sehr gut, wenn man von Kleinigkeiten absieht. Black Country, New Road bestätigt den aufgebauten Ruf als heißester Shit im Indie-Game mit diesem Album einmal mehr. Eine Platte, die For the First Time noch übertrifft und definitiv zu den Anwärtern zum besten Album des Jahres zählt.
Ein wenig wehmütig blicken Fans der Zukunft entgegen, was der Ungewissheit über den weiteren Verlauf der Band geschuldet ist. So bleibt nur zu sagen: Danke Isaac für zwei fantastische Alben und f*** Corona, dass man diese Band nur ganz selten live spielen sehen hat können. Wie dem auch sei – danke!
9,3/10
Früher Sängerknabe, heute zwischen Fußball, Football und viel Musik. Im Herzen immer Punker.