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Genre: Pop-Punk
Ah, Avril Lavigne. Schwarm altgewordener Teenies und Königin des Mainstream Pop-Punks. Das siebte Studioalbum Love Sux ist erschienen und lässt schon am Titel erahnen, dass auch Avril noch in den Flegeljahren steckt.
Vor zwanzig Jahren – ja, zwanzig (!) – ging der Stern von Avril Lavigne mit Complicated auf. Als Girl next door mit Nietengürtel, Smoky-Eyes und E-Gitarre stürmte sie in die Herzen von sämtlichen männlichen Jugendlichen und dürfte dort bis heute noch an irgendeiner Ader sitzen. Die Karriere startete und auch wenn einige Durchhänge-Phasen folgen sollten, blieb sie immer im Gespräch. Sei es auf Grund ihrer musikalischen Neuausrichtung, die sie zwischenzeitlich sogar zu Max Martin spülte oder ihrem Privatleben, das auf Grund der Ehe mit Nickelback-Frontsänger Chad Kroeger auch in den Schlagzeilen stand. Die Beziehung ging zu Ende – und nachdem damit schon die zweite Ehe scheiterte, ist es irgendwie auch nur folgerichtig, dass Avril ihr neues Album Love Sux betitelt.
Dabei läuft es privat derzeit gut. Mit Derek „Mod Sun“ Smith ist die 38-Jährige nicht nur seit einem Jahr liiert, sondern hat in ihm auch einen der drei Hauptproduzenten und Songschreiber der neuen Platte gefunden. Die anderen beiden? John Feldmann, Sänger der Punkband Goldfinger und Travis Barker, Drummer von Blink-182 und mittlerweile überall anzufinden, wo nur im kleinsten Ansatz irgendetwas von Pop-Punk oder Emo Pop zu finden ist. Das sollte Angst machen. Warum?
Weil die barkerschen Kniffe doch sehr austauschbar sind. Pop-Punk hält nicht unbedingt den Ruf, zu den progressiveren Musikrichtungen des Kosmos zu zählen. Trotzdem gibt’s jenen der einfach knallt und jenen der einfach nervt, weil er so glatt und platt daherkommt, dass man einfach nicht mehr mag.
Die Sache ist die: Love Sux kann Spaß machen. Ja, wirklich. Kinder der 90er werden den ein oder anderen Flashback erleben, vor allem dann, wenn Avril Lavigne bis heute das Maximum der Gefühle an Begegnung mit Punk darstellt. Da kann man dann zu Songs wie Cannonball abgehen. Der Opener will edgy sein, Avril begrüßt uns mit Motherfucker und singt sich hastig durch die Strophe, um dann immer und immer wieder die Frage zu stellen: Are you ready? Es folgt keine große Überraschung, im Refrain wird gestrummt und gegen Ende gibt’s noch ein paar Oh-Oh-Oh-Chöre. Na eh ok. Von diesen okayen Nummern gibt’s eine Hand voll.
Bite Me, die Leadsingle, fällt zunächst extrem negativ auf Grund des grausamen Glottisschlags auf, entwickelt sich aber immerhin noch zum spannendsten weil nicht ganz so nach Muster F aufgebauten Song. Kiss Me like the Word Is Ending ist Peak-Pop-Punk aus dem Hause Barker und haut gar noch ein paar Synthis raus. Das passt, auch von den Lyrics keine wilden Verbrechen. Der Closer Break Of A Heartache beginnt wie der Opener mit einem Motherfucker, gibt uns aber auch die Green Day-lastigste Avril. Uptempo das viel Potential mit sich bringt und durch sinnlose Oh-Oh-Oh-Chöre komplett zerstört wird. Soviel zum soliden von Love Sux.
Wenn man die guten Scheiben finden will, muss man ein bisschen näher suchen. Es sind die ruhigeren Lieder, die hervorstechen: Avalanche darf getrost als bester Track der zwölf Songs bezeichnet werden. Avrils Gesangsleistung funktioniert, das Arrangement ist aufwendiger und abwechslungsreicher (hey, es gibt Streicher) und man kauft ihr den Text ab. Gut, die Synthis in der zweiten Songhälfte sind eventuell für ein Crossover zum nächsten Rave in der naheliegenden Schlucht gedacht, aber wollen wir nicht ganz so hart sein. Sie kann ja Balladen schreiben, sie tut es nur nicht mehr. So gut sich Avalanche vom Rest abhebt, so brutal stinkt ein solcher Song gegen frühere Werke wie I’m with You oder Don’t Tell Me ab. Behaupte ich mal, wenn ich auf mein 14-Jähriges Ich höre.
In ein ähnliches ruhiges Horn bläst Dare To Love Me. Untypisch für Love Sux begrüßt uns ein Klavier und wieder kommen ein paar Streicher dazu. Aber auch E-Gitarren in bester Coldplay-Manier (also das nicht ganz so furchtbare neue Coldplay) und Glockenspiele. Das macht es interessanter als so manch andere Scheibe.
Die wirklichen wilden Sachen treten mit den Features in Erscheinung. Das musikalische Thema von Bois Lie dürfte von einer Blink-B-Seite stammen und wird nur von der Pre-Hook bzw. dem Refrain von Avril gerettet. Ab dem Einsatz von Machine Gun Kelly wird’s ein weiterer fantastisch austauschbarer lalalala-Sound, der vor allem dank MGK Intonation schmerzt. Trap und Pop-Punk ist eine Mischung, die besser nie zusammengetroffen wäre. So auch in Love It When You Hate Me, der zwar zu meinen Guilty Pleasures zählt, aber von oben betrachtet ziemlich grausam klingt. Der Refrain macht Laune, das Zeug was blackbear mitbringt zerstört alles. Alles. Das Trio der furchtbaren Features wird mit All I Wanted vervollständigt, wo Mark Hoppus seinem Blink-182-Drummer zur Seite springt. Es kam ein grauenvoller, monotoner, unorigineller Song heraus, der weder Fans von Avril noch Fans von Blink-182 im Ansatz befriedigen wird. Wieder Oh-Oh-Oh-Chöre, die mehr an eine Boyband als an Rockgruppen erinnern.
Speaking of Boybands: Der titelgebende Trak Love Sux könnte auch von One Direction stamen. Ja, das macht ihn natürlich zum Hit mit Ohrwurmpotential. Aber es gab diesen Song einfach schon hunderte Male zuvor. Zu Deja Vu bleibt nicht mehr zu sagen als: Viele gute und solide Stellen werden durch einzelne Schandtaten ruiniert. F.U. trifft genau die Range von Avril, wodurch sich der gesamte Song voll anfühlt und man auch mit den stringenten Powerchords gut mitgehen kann.
FAZIT
Love Sux hat mich an ein Problem erinnert, das mir erst kürzlich widerfahren ist: Der Demaskierung jugendlicher Nostalgie. Hat wer von euch das Remaster von GTA: San Andreas gespielt? Wenn nein, dann tut es auch nicht, sonst haut ihr euch die wunderschönsten Momente eurer Spielejugend zusammen. Weil: Das Spiel ist im Jahr 2022 ziemlich kacke. Und nachdem ich mich mehrere Male durch Love Sux durchgewuselt habe, befürchte ich zu einem ähnlichen Schluss zu kommen, was die Musik von Avril anbelangt.
Kinder der 90er Jahre verbinden mit Avril Lavigne zwangsläufig irgendeine Erinnerung, meistens eine positive. Anfängliches Rebellentum, Herzschmerz, den ersten (Celebrity-)Crush. Und irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass sich ihre Karriere seit dem raketenhaften Start in ungeahnte Höhen mit jedem Projekt im Sturzflug befindet. Die hat doch mal gute Songs geschrieben? Vermutlich. Vielleicht liegt aber genau darin der Hund begraben. Es waren einfach immer nur gute Singles und selten ein durchgängig gutes Album dabei. Das wussten wir damals noch nicht. Behaltet euch diese Erinnerung. Love Sux hat höchstens das Potential ein Guilty Pleasure zu werden. Rein musikalisch ist dieser Blink-182-Abklatsch so innovativ wie ein Update zu Pokemon Go: Wer’s mag, ok – alle anderen werden auch ohne gut leben können.
Früher Sängerknabe, heute zwischen Fußball, Football und viel Musik. Im Herzen immer Punker.