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CHARLI XCX – CRASH

© ASYLUM RECORDS

GENRE: Synthi-Pop

Einer der größten Rollouts des vergangenen halben Jahres liegt hinter uns: Das neue Album von Charli XCX Crash ist endlich erschienen und stellt damit auch den Gipfel der Mainstream-Popqueen-Ära von Charli dar.

BACKGROUND

In der modernen Popwelt wird kaum eine Künstlerin so respektiert wie Charli XCX. Die Britin hat in ihrer bisherigen Karriere eindrucksvoll bewiesen, wie man Popmusik neu denken und noch zugänglicher machen kann. Dabei steht ihre eigene Weiterentwicklung im Zentrum, nahezu jedes ihrer Projekte steht für eine eigene Ära, die sie nach der jeweiligen Veröffentlichung fallen gelassen oder weiterentwickelt hat.

War sie zu Beginn ihrer Karriere mit Singles wie Stay Away oder Nuclear Seasons noch im Dark Wave zu finden, switchte sie mit ihrem zweiten Album Sucker und Hits wie Boom Clap oder Break the Rules in den Power Pop. Den ersten Höhepunkt bildete das 2017 erschienene Mixtape Pop 2, das mit experimentellen Arrangements auffiel und Charli endgültig als Visionärin des Genres manifestierte.

Mit ihrem dritten Album Charli verflossen die Genregrenzen und man bekam mit Avantgarde-, Elektro- und Hyper-Pop den Eindruck, dass sie nun endgültig dort angekommen ist, wo sie jahrelang hinwollte. Sie dachte größer, überwand sowohl persönliche Ängste und Zweifel als auch die gängigen Muster des Pop. Nur ein dreiviertel Jahr später, im Mai 2020, legte sie mit How I’m Feeling Now nach. Das Album entstand zusammen mit Fans, war die Blaupause für ein Lockdown-Album und wurde in nur wenigen Wochen umgesetzt. Die Kraft blieb dieselbe, wieder wurde ausgelotet, wie weit man als Popmusikerin gehen kann.

Nun folgt mit Crash die endgültige Fusionierung aller bisherigen Phasen. Das fünfte Album stellt gleichzeitig das Ende ihres bisherigen Plattendeals beim Majorlabel Warner dar, was Charli zum Anlass nahm, sich wie eine Popdiva zu inszenieren. Ein aufwendiger und langer Rollout wurde durchgezogen, viele Singles erschienen, TV-Auftritte und zahlreiche PR-Termine wurden absolviert und das Budget für Musikvideos angehoben. Zwölf Songs, 34 Minuten Synth-Pop, der sich wieder mehr am Mainstream orientiert.

Wie immer vertraut Charli auf ihr gewohntes Produzententeam um A.G. Cook, Lotus IV, Ariel Rechtshaid, George Daniel und vielen weiteren, wobei Cook diesmal mehr als Berater denn ausführender Produzent zum Einsatz kam. Charli macht auch keinen Hehl daraus, dass sie sich von verschiedenen Künstlern beeinflussen lässt. Angesprochen darauf, erwähnte sie Janet Jackson, Cameo, Sister Sledge, Serge Gainsbourg, Steve Vai, Black Eyed Peas, Charlie Puth, Cyndi Lauper, Rick James, Taylor Dayne, Boy Meets Girl und Belinda Carlisle als musikalische Einflüsse. Das Album selbst widmete sie ihrer tragisch verstorbenen Produzenten-Freundin Sophie.

REVIEW

Crash beginnt mit dem titelgebenden Track, einer Single im Stil der 80er Jahre mit New Jack Swing- und hörbaren Janet Jackson-Elementen. Die Synthis stehen im Zentrum, die Drums krachen und halten die Pace hoch. Charli wählt viele für sie typische Stilmittel, zieht den Track auf mehrere Level auf und lässt auch der Gitarre und dem Bass Spielraum, um sich entfalten zu können. Sie spielt auf einen ihrer ersten Songs I Love It an und sieht Crash als Fortsetzung.I’m about to crash into the water, gonna take you with me / I’m high voltage, self-destructive, end it all so legendary – was man auch als Metapher für ihre Mainstream-Ära deuten kann. Hyper-Pop in für ihre Verhältnisse gediegenem Ausmaß. Vor allem gegen Ende will man sich in die Harmonien hineinlegen, Charli reizt ihren stimmlichen Raum aus und liefert ein angenehmes Hörvergnügen.

Zusammen mit Christine and the Queens schrieb Charli Gone, einen der besten Popsongs der vergangenen Jahre. Die Zusammenarbeit wurde bei New Shapes fortgeführt und durch die Hereinnahme von Caroline Polachek wird ein spannendes musikalisches Trio gebildet. New Shapes ist euphorisch, hat harte Drums und Synthis, die keinen Zweifel daran lassen, dass die 80er eine große Rolle auf diesem Album spielen. Alle drei Künstlerinnen können auf ihre Art und Weise einen wertvollen Beitrag zu diesem absoluten Banger leisten. Angenehme Harmonien wo man nur hinhören kann und zugleich auch die Gewissheit, dass Charlis aggressiver Ansatz der vergangenen Jahre bestehen bleibt. Die Synthis dürfen knallen und krachen.

Good Ones, die Leadsingle, knallt von vorne bis hinten, erinnert an Euroythmics und kann den Drive, die hohe Pace über die 2:16 Minuten halten. Das ist auch das größte Manko dieses Synthwave-Krachers, er dauert einfach nicht lange genug. Das Thema des Songs brennt sich ins Hirn ein, Charlis Falsett ist zwar nicht sehr mächtig, stellt aber einen guten Kontrast zu den tiefen Bässen dar. Wie alles auf Crash ist Good Ones makellos produziert, bleibt nie stehen, sondern will über sich hinauswachsen.

You could have had a bad girl by your side wiederholt sie in Constant Repeat. Wieder so eine komplette Synthi-Explosion, die es hie und da glitzern lässt, jedenfalls aber keine Zeit zum langweiligen Verweilen bietet. Rastlosigkeit ist ein zentrales Thema von Charlis Musik und ihrem Charakter, hier wird das deutlich hörbar. Der Aufbau ähnelt jenem der vorangegangenen Songs, sie lässt den Synthi den Anfangsteil übernehmen und steigt dann ein, um sich bis zum Ende mehr und mehr zu steigern. Das musikalische Gespür Charlis wird unter Beweis gestellt, sie weiß, wann sie Kraft herausnehmen muss, um noch mehr Tiefe erzeugen zu können.

Die die lang ersehnte Kombo zwischen Charli XCX und Rina Sawayama folgt in Beg For You. Die Erwartungen an dieses Feature lagen in astronomischen Höhen, was der extrem hohen Innovation beider Künstlerinnen geschuldet ist. Dass am Ende eine Adaption des 2006 erschienen Hits Cry For You herauskam, mutete zunächst ein wenig enttäuschend an (zumal Charlis Lyrics auch nicht vollends überzeugen). Dafür kann sie in ihrer Strophe eine Gesangsleistung vorweisen. Rina hätte man noch mehr Raum geben müssen, der Song hätte außerdem noch eine Bridge vertragen können. Die große Innovation oder das gewünschte Avantgare-Hyper-Pop-Feuerwerk wurde Beg for You nicht. Ein Banger trotzdem, wenn auch ein schwächerer.

Charli schreibt bekanntlich auch Welthits für andere Künstler. Die entstehen meistens in Schreib-Camps und bei einem solchen entstand Move Me, den sie zusammen mit Amy Allen schrieb. Als der Song stand, wollten viele der Camp-Teilnehmer, dass Charli Halsey gibt, was Charli vehement ablehnte. „Nein, ich liebe Halsey, aber das ist ein großartiger Song für mich und ich werde ihn behalten.“ Und das war auch gut so. Move Me tritt zwischenzeitlich reduzierter auf als alle anderen bisher gehörten Tracks, wird zum Refrain aber wieder von Charlis Aggression in a cappella-Manier wiederbelebt. Sie wählt selten den einfachen stimmlichen Weg sondern haut noch irgendwo einen Schlenker nach oben hinein, der dann noch für eine Extraportion Würze sorgt.

Eine funky Sex-Nummer gibt’s dann mit Baby, dem Highlight von Crash. Charli gibt uns diesmal auch eine Bridge, was dem Song auch die nötige Tiefe gibt. Wieder hören wir New Jack Swing, wieder vergehen die zweieinhalb Minuten wie im Flug. Die Steigerung der Synthis, die hohe Pace des Tracks, die Streicher – alles passt. Funk-Disco wie es sein soll.

Weg von den mainstreamtauglichen Songs bewegt sich Lightning, der experimentellste Track von Crash, der ohne weiteres auch auf Charli oder How I’m Feeling Now zu finden hätte sein können. Stimmverzerrer prominent zum Einsatz, die Synthis erst im Refrain, wo der 80er Funk wieder übernimmt. Highlight auch – weil so unerwartet und weird – die spanische Gitarre, die mittendrin ihren Auftritt bekommt. Zwischen Boom-Pop-Clap-Drums und Synthis versucht sich die akustische Gitarre durchzusetzen, was ironischerweise auch funktioniert. Das sind die Momente, die man Charli geben muss. Knapp vier Minuten Gewitter, geordnetes Chaos, das zunächst abschreckt, dann aber einfach nur zum Feiern animiert.

Eine klassische Ballade – oder zumindest das, was Charli darunter versteht – gab es schon längere Zeit nicht mehr. Umso schöner, dass sie mit Rule For You einen ruhigeren, aber gleich synthilastigen Song präsentieren kann. Charli singt über Liebe, über die Problematik einen Menschen zu lieben der sich, wie sie selbst, in einer Beziehung befindet. Dezenter tritt sie auf Crash nie auf, mehr als ein dominierender Synthi und ein im Hintergrund den Takt vorgebendes Schlagzeug gibt’s nicht. Den Rest macht sie mit ihrer Stimme. Viel passiert nicht, aber es muss ja nicht jeder Song eine komplette Ekstase auslösen.

Um wieder aus der Trance aufzuwachen, kehrt in Yuck der Funk zurück. Der Text im Refrain ist zwar gewöhnungsbedürftig, der Sound dafür extrem ansteckend. Charli stellt diesmal ihrer Stimme mehr in den Vordergrund oder gibt der Gesangsmelodie mehr Aufmerksamkeit als sonst. Wenn dieser wirklich bittere Refrain-Text nicht wäre, müsste man Yuck sofort als einen der besten Songs von Crash bezeichnen.

Wie für Trash-TV-Kuppelshows gemacht ist Used to know me, das auf Robins Show Me Love zurückgreift. Der Beat ist also schon bekannt und passt auch zu Charli, das gesamte Ding hat zwar ein paar gute Phasen, wird mit der zweiten Strophe dann aber schon recht schnell zu eintönig. Ein Trennungssong, der die verflossene Liebe schnell vergessen lassen soll, was auch funktionieren kann, auch wenn die großen Überraschungen ausbleiben.

Mit Twice endet Crash und damit auch dieses große Kapitel in Charlis Karriere. Don’t think twice about it, wiederholt sie. Der Song war die logische Wahl für den Closer, er passt perfekt, feuert zwar keine Raketen mehr ab, aber holt noch einmal die experimentelleren Seiten von Charli hervor. Der plötzliche Hiphop-Einfluss, der Beat zum Ende, macht alles noch einmal besser. Man fühlt sich sehr wohl in der verträumten Melodie und kann zufrieden einen Haken hinter das fünfte Album von Charli setzen.

FAZIT

Von „Reshaping Pop Music“ sprach Zane Lowe im Interview mit Charli XCX. Crash vereint alle bisherigen Musikphasen von Charli und wird somit zu einem Feuerwerk der Pop- und Tanzmusik. Ja, sie war schon innovativer, aber Innovation stand nicht im Mittelpunkt von Crash. Viel mehr wollte sie ein großes Popalbum kreieren, ihr großes Popalbum, was sie auch geschafft hat. Charli – wenn auch nicht in einer Liga mit Dua Lipa und Co. – definiert die Wege und Richtungen des Genres wie kaum eine andere Künstlerin. Ihr Mut und ihre Visionen sind jedes Mal aufs Neue beeindruckend und auch beneidenswert. Crash ist ein Album zum Tanzen und Feiern, zum Lieben und Leben, zum Vergessen und Träumen. Es ist Pop, der Musik anderer Künstler langweilig erscheinen lässt. Sie vereint Vintage mit Moderne und baut daraus ihre eigene Architektur. Es ist Charli XCX.

8,8/10

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