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GENRE: Indie-Rock
Mit einem neuen Projekt meldet sich Peter Doherty zurück: Der mittlerweile 43-Jährige wandelt zusammen mit dem französischen Musiker Frédédric Lo durch die Dünen der Normandie und zeigt sich dabei frisch wie nie.
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Die Gretchenfrage zuerst: Wie geht es Peter Doherty? Laut einem Interview vom Januar 2022 mit dem britischen Musikmagazin NME sehr gut. Seit Dezember 2019 ist Doherty clean. Die zweite Frage gleich hinterher: Warum zum Teufel schreiben wir Peter und nicht mehr Pete Doherty? Auch hier gibt ein Interview mit NME aus dem Jahr 2009 Antworten
Nachdem das geklärt wäre, bleibt noch die Frage, wer eigentlich Frédéric Lo ist. Der Franzose ist Musiker, Sänger, Songschreiber, Produzent du hauptsächliche für seine Arbeit mit der französischen Band Pony Pony Run Run bekannt. Doherty und Lo lernten sich im Sommer 2020 kenne, als Lo Peter bat, ein Cover für ein Tribut-Album für den französischen Songwriter Daniel Darc aufzunehmen.
Die Dinge entwickelten sich organisch, Doherty wurde von Los Musik inspiriert und schrieb Texte. Binnen sechs Monate entstand das nun erschienene Lockdown-Album – ungeplant. Peter hat bekanntlich mehrere Bands und Projekte nebenbei laufen: Mit den Libertines ging und geht er auf große Tour, mit den Puta Madres gab es auch immer wieder neues Material. Mit Lo kommt eine neue Kollaboration hinzu, die Doherty als reinen Sänger vorsieht. „Peter wollte nicht Gitarre spielen, also spielte ich Gitarre, Bass und Keyboard und nahm mit einem französischen Drummer eines großen Pariser Orchesters auf“. Doherty konzentrierte sich voll und ganz auf den Text und den Gesang. Ein halbstündiges, 12 Tracks umfassendes Album fand so seine Entstehung und nun auch Vollendung.
REVIEW
The Fantasy Life of Poetry & Crime hat auf Grund Dohertys Abwesenheit auf der Gitarre keinerlei Anzeichen eines Indie-Albums. Hier krachen keine E-Gitarren und richtig dreckig oder schmuddelig wird es auch nie. Dafür warm, angenehm leicht, ja auch ein bisschen vertraut. Doherty und Lo bilden ein Duo, das klickt, das sich aufeinander verlassen kann und harmoniert.
Komplett neu erfindet sich Doherty nicht. Seine typische Intonation behält er bei, er wechselt immer wieder zwischen klagendem und erlösendem Gesang. Die Arrangements von Lo sind vielseitig, bringen schon im Opener Bläser und Streicher mit ins Studio. Es sind kleine und einfache Melodien, die die Songs dominieren und um die sich Doherty schmiegt wie es nur frischverliebte tun. Peter baut seine französische Wahlheimat in seinen Texten ein, immer wieder treffen wir auf französische Textbrocken.
Natürlich spielt die Pandemie auch auf The Fantasy Life of Poetry & Crime eine Rolle. Doherty nennt Songs The Epidimiologist oder Yes I wear a Mask, erklärt, dass Epidemiologien die Rockstars unserer Zeit sind und er unter einer Maske auch seine Verbrechen verbergen kann. All das umrahmt von sehr zarten Melodien, wo mal das Klavier den Weg vorgibt, manchmal die Gitarre. Doherty sing so klar und gut wie selten zuvor, er selbst betont, dass es absolut essenziell sei, diese Songs auch live zu spielen. Die Chemie zwischen Lo und Doherty stimmt auf allen Ebenen, sie bezeichnen sich als lebenslange Freunde, was man hören kann. „Ich denke ich habe mit all meinem Herz für dieses Album geschrieben. Ich sah es als Herausforderung und Notwendigkeit an, sie zu schreiben. Die Melodien und Songs die Frédéric geschrieben ha waren so stark, dass sie großen Einsatz von meinem Textpart verdienten“.
So erblicken Lieder das Licht der Welt, die wohl zu den besten in der langen Diskografie Doherty zählen. You Can’t Keep it From Me Forever erinnert an Morrisey und die Smiths, hat einen ansteckenden Mitklatsch-Refrain aber eine noch bessere Strophe. Da geht die Sonne in der Normandie auf, was man auch auf Dohertys persönlichen Weg ummünzen kann. In Frankreich fand er endgültig den Absprung von den Drogen und mit Lo einen neuen kongenialen Partner, der genau weiß, welcher Sound zu Doherty passt.
Ganz abschütteln oder verbergen lässt sich die Vergangenheit nicht. Peter zollt verstorbenen Weggefährten Tribut, widmet beispielsweise seinem Freund Alan Wass den Song Abe Wassenstein, auf dem er Zeilen wie I sit and stare / say a prayer for a friend of mine von sich gibt. Frei von jeder Bitterkeit oder jeglichem Kummer, viel mehr will er das kurze Leben seines Kollegen ehren und verewigen. Abe Wassenstein konzentriert sich aufs Wesentliche, Peter bekommt lange Zeit nur von einer akustischen Gitarre Unterstützung und durch die crispy production wird ein zusäzliches Level der Zärtlichkeit freigeschaltet.
In seltenen Momenten blitzen noch die Babyshambles durch: Rock & Roll Alchemy verwendet ähnliche Muster wie Doherty es schon in seinen früheren Tagen gemacht hat. Diese Flashbacks passen auch gut in die sonst sehr gediegene und idyllische Stimmung des Albums. „Ich denke, der kreative Prozess ist eine eigene Abhängigkeit. Ich muss Songs schreiben und ich bin dem noch nie wirklich auf den Grund gegangen“.
Doherty ist und bleibt ein bemerkenswerter Geschichtenerzähler, was er in Songs wie The Ballad Of zeigt: Der Sound mit seinen Bläsern und seiner düsteren Stimmung wird durch seine Offenbarungen zu etwas großem, das im Finale mit Streichern seinen Höhepunkt findet. Ähnlich verhält es sich mit dem fast schon herzzerreißenden Invictus, auf dem Doherty sich die Seele aus dem Leib weinen möchte. Wieder überrascht die Zärtlichkeit und die Dynamik, die Doherty vorweisen kann.
Manchmal kommt noch der Blues hinzu und The Fantasy Life of Poetry & Crime wird noch leichter. Keeping Me on File löst die letzten Fesseln der vorgefertigten Gedanken und wird zu einem späten Highlight der Platte, auch dank einer Mundharmonika, die derzeit ein bisschen aus der Mode zu fallen scheint. Nicht alle Lieder stechen heraus, ein paar gehen fast schon unter, weil sie sich so weit zurücknehmen und durch ihre reduzierte Atmosphäre überzeugen möchten. Die Idee dahinter ist verständlich, die punktgenaue Umsetzung wäre nicht notwendig gewesen. Also gibt es mit The Monster, The Glassblower oder dem Closer Far From the Madding Crowd Füllersongs auf hohem Niveau, die man immer noch gerne hört, die aber nicht ganz mit den restlichen Liedern von The Fantasy Life of Poetry & Crime mithalten können.
FAZIT
Peters Texte und Gesang in Zusammenspiel mit Frédérics Musik ergeben eine harmonische und angenehme Atmosphäre. Man will sich in der Musik gehen lassen und Doherty umarmen, weil er endlich glücklich zu sein scheint. Es möge so weitergehen. Schmerzhaft schöner Sound aus Frankreich!
8,0/10
Früher Sängerknabe, heute zwischen Fußball, Football und viel Musik. Im Herzen immer Punker.