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Genre: Indie-Pop
Harry Styles lädt uns in sein Haus ein. Dort finden sich allerlei unterschiedliche Zimmer, die vor allem durch eine angenehm warme Temperatur auffallen.
BACKGROUND
Einen Sänger wie Harry Styles muss man wohl nicht mehr vorstellen. Das ehemalige Mitglied einer der erfolgreichsten Boybands aller Zeiten, hat sich nach der Pause selbstständig gemacht und mit seinem selbstbetitelten Debüt und Fine Line im Jahr 2019 große Erfolge feiern können. Letzteres Album wurde gar schon in die Rolling Stone 500 der besten Alben aller Zeiten aufgenommen. Die großen Hits sind natürlich nicht ausgeblieben, von Sign of the Times bis hin zu Watermelon Sugar konnte Styles die Charts der Welt erobern. Ähnlich verhält es sich mit seiner aktuellen Single As it was, dem Vorboten für Harry’s House, das seit Wochen weltweit in den Spitzengruppen der Charts zu finden ist und Harry in Richtung Synth-Pop, Indie-Pop schielen lässt. Kein weltbewegender Song, aber auch nicht so übel, dass man schlimme Klänge von seinem neuen Album erwarten würde.
Benannt als Hommage an Haruomi Hosono, der 1973 Hosono House veröffentlichte, nimmt uns Styles in seine persönlichen vier Wände mit. 13 Songs, 42 Minuten und viele Neuerungen in seiner Musik erwarten die Hörer.
REVIEW
Weiterentwicklung ist natürlich ein Thema. Weg vom klassischen Styles-Sound, den Balladen oder generischen Pop-Nummern hin zu etwas experimentierfreudigerem. Dass er gleich Nägel mit Köpfen machen will, fällt schon im Opener auf: Music for a Sushi Restaurant zeigt einen Styles, der sich nicht einengen lassen möchte. Ein Track voller Funk, bei dem man kurz die Augen zusammenkneift, um auch auf Nummer sicher zu gehen, dass es sich um einen Harry Styles-Song handelt, so untypisch scheint der Sound. Der Bass treibt begrüßt uns an der Haustür und fegt uns durch die gesamte Anlage, die massiven Bläser zelebrieren unseren Besuch und Harry nimmt noch ein paar Chöre mit. Ein erster Vorbote, dass Styles sich nach hinten stellen und die Musik ins Zentrum bewegen kann.
Der Start des Albums ist jedenfalls vielversprechend, Late Night Talking bleibt der Funk-Linie treu, wenn er sich auch einfühlsamer mit uns zeigt. Eine sehr schöne Botschaft gibt er uns mit, die unserer Seele guttut und mit euphorisch-aufbauendem Sound untermalt wird, wodurch wir uns bewegen möchten. Und zwar ausgiebig. Als Begrüßungsdrink serviert er uns einen Grapejuice, der die Reihe an besungenen Obstsorten erweitert. Harry gibt uns ein bisschen Zeit zum Durchschnaufen, holt das Klavier heraus, weigert sich aber eine seiner triefenden Balladen zum Besten zu geben. Viel mehr pocht er akzentuierte Klavierakkorde herunter und singt – mit ein paar elektronischen Backgroundinstrumentals – ganz wunderbar über dich und mich. Oder ihn und sie. Liebe eben, fein verpackt in Leichtigkeit, garniert mit viel Sonnenschein im lichtdurchfluteten Zimmer.
Ja und dann – As it was. Ist halt immer noch ansteckend, auch wenn es sich dabei eigentlich um keinen enorm herausstechenden Song handelt. Aber diese Softness die an einen absolut generischen Indie-Pop-Song aus den frühen 10er-Jahren erinnert kann im Jahr 2022 auch noch funktionieren. Wenn man ihn so oft vorgesetzt bekommt, dass man sich ergibt. Die Geschichte im Text ist ja wirklich ok, Einsamkeit und verflossene Liebe ist bitter. Musikalisch hätte er trotzdem noch mehr aus der Leadsingle rausholen können.
Irgendwie scheint er uns nach diesem durchaus freundlichen Start nicht mehr in jedes seiner schönen Zimmer lassen zu wollen. Oder er hat zum Innenarchitekten gesagt, dass er sich bitte an ein Muster halten möge und nur noch in Ausnahmefällen zu Experimenten hinreißen lassen möge. So bleiben nur noch wenige echte Highlights übrig. Little Freak ist ein solches, das mit wunderbarem Arrangement sofort ins Ohr springt, einer Mischung aus zurückhaltender Percussion, Keyboard und feiner Gitarre, die Harry mit seiner Stimme umgarnt und sich vielleicht auch noch am meisten nach dem alten Harry, dem One Direction-Harry anhört. Auch Matilda sticht heraus. Ein Song in Anlehnung an Roald Dahls gleichnamigen Kinderroman, der Harry in der Beobachterrolle sieht oder ihn mit Akustikgitarre kommentieren lässt. Hier fühlt man sich von der ersten Sekunde an sehr wohl, die Harmonien, das zur Bridge einsetzende Klavier, die Gitarre natürlich und Harrys Gesang umarmen dich und lassen dich so schnell auch nicht mehr los.
Bis zum Schlusssong Love of my Life würden wir uns diese Umarmungen wünschen. Leider kümmert sich Harry aber nicht mehr ganz so intensiv für uns. Die zweite Albumhälfte, der hintere Teil des Hauses, wenn man so möchte, ist gespickt mit Songs, die das Prädikat Durchschnitt verdienen. Besserer Durchschnitt, um ehrlich zu sein. Man bekommt fast das Gefühl, ihm ist die Lust an unserem Besuch ein bisschen vergangen und er möchte da jetzt noch schnell durch. Cinema, Daydreaming, Keep Driving oder Satellite haben alle auf ihre Art und Weise gewisse Vorzüge, zerstören den kurz aufkommenden Moment der Neugierde aber meistens mit einem viel zu generischen oder wenig überraschenden, manchmal auch sich ständig wiederholenden Moment. Bei Daydreaming möchte man beispielsweise tanzen, da gibt’s wieder Funk und Disco, aber man bleibt auf der Tanzfläche stecken, kommt nicht vom Fleck, was trotz guter Vocals bitter ist. Keep Driving möchte mysteriöser und böser sein, Harrys Gesang unterbietet aber die komplette Metamorphose zum Bösewicht, auch wenn er von Kokain und nackten Brüsten singt. Und Satellite hätte der Held werden können mit seinen Synthis und seiner Percussion, würde er ihn gegen Ende des Songs nicht mit überdimensionalen Wiederholungen selbst abstechen.
In seiner Rolle als Kommentator oder Ratgeber fühlt sich Harry auch sehr wohl. In Boyfriends, einem Track, der durch Akustikgitarre und Chöre durchaus das Potential gehabt hätte ein ordentlicher Folk-Track zu werden, erklärt er uns, wie Männer in Beziehungen funktionieren und wie verschlossen sie sind. In den 3:15 Minuten gibt’s keine Entwicklung, kein bisschen. Die erste Minute ist dementsprechend schnell vorbei, die restlichen zwei ziehen sich extrem und sorgen dafür, dass man sich wieder an den Anfang zurückwünscht.
Wenigstens ist das Ende, das uns zur Tür hinausbegleitet wieder versöhnlich. Love of my Life stellt zwar kein großes musikalisches Feuerwerk dar, aber ein paar Raketen feuert Harry schon noch mal ab. Ist wirklich nett. So endet unser Besuch im Haus also, von dem wir die ein oder andere persönliche Anekdote von Harry Styles mitbekommen.
FAZIT
Harry Styles scheint sehr glücklich zu sein. Mit Harry’s House traut er sich aus seiner Komfortzone und überrascht an einigen Stellen mit für ihn untypischen, aber passendem Sound. Leider hat er aber in der Mitte den Drang zur vollständigen Veränderung verloren. Die Texte sind gut, die Storys persönlich. Insgesamt bleibt Sound stehen, zu dem man gerne zurückkommt, weil er absolut nicht belastet.
6,6/10
Früher Sängerknabe, heute zwischen Fußball, Football und viel Musik. Im Herzen immer Punker.