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YASMO & DIE KLANGKANTINE – LAUT UND LOST

© Ink Music

Genre: Deutschrap

Das dritte Album von Yasmo und ihrer Klangkantine überzeugt mit Vielseitigkeit, gesellschaftspolitischen Texten, Feminismus und zahlreichen Beispielen, warum das Patriarchat fallen muss.

BACKGROUND

Yasmin Hafedh aka Yasmo zählt zu den begnadetsten Texterinnen Österreichs und des deutschsprachigen Raums. Schon in den Teenager-Jahren zur erfolgreichen Poetry Slammerin aufgestiegen, ist die 32-jährige Wienerin unumstritten eine der bedeutendsten Rapperinnen des Landes. Mit Keep it realistisch schlug sie 2011 erstmals in der Szene auf, mit Kein Platz für Zweifel legte sie 2014 nach. Seit 2015 tritt sie nicht mehr alleine auf, sondern hat sich mit ihrer Klangkantine eine Big Band an die Seite geholt, die ihrer Musik ein ganz neues Möglichkeitsspektrum bietet. Nach dem selbstbetitelten Album 2017, folgte 2019 Prekariat & Karat. Textlich gibt es bei Yasmo keine halben Sachen zu finden – heikle Themen werden ebenso angesprochen, wie vermeintliche Kleinigkeiten – oder offensichtliches. Wenn man(n) Yasmo hört, bekommt man(n) immer noch eine gratis Aufklärungsstunde in Sachen Feminismus, Gleichberechtigung und Kapitalismuskritik dazu geschenkt.

Ziemlich harter Tobak für ein Genre, dass sich meistens über wortakrobatischen Nonsens definiert, in dem geflext und weggeflankt oder auch abgestochen wird. Das Schöne am Rap: Alles hat Platz. Und tatsächlich hat sich Yasmo für LAUT UND LOST an vielen gängigen Hip-Hop-Mustern orientiert.

REVIEW

Mira Lu Kovacs und W1ze reißen ab

Denn die zwölf neuen Tracks kehren zu klassischeren, mitunter auch härteren Instrumentals zurück. Alle beispielsweise, die große Vorab-Single von LAUT UND LOST, kommt mit ordentlichem Bass daher, lebt natürlich auch von den wunderbaren Klavier-Akkorden. Damals in abgehört haben wir das Ding so zusammengefasst:

Was man noch sagen muss: Flow und Delivery scheinen immer noch weiter zu wachsen. Yasmo kann verschiedene Reimmuster anwenden, sich gekonnt mit Worten um Takte winden und noch eindrucksvoller ihren Vortrag auf- und ausbauen. Der wunderbare Opener 100K den sie zusammen mit Mira Lu Kovacs präsentiert, macht keinen Hehl daraus, dass sie auf diesem Album nur die Richtung nach vorne kennt. Das Arbeiterkind hat jetzt Erspartes, sagt sie stolz, während Mira in ihrer typisch sanft-kräftigen Art den Chorus gibt. Yasmo kehrt zurück und erklärt, From rags to riches ist doch meistens erdichtet / Nicht jeder hat den Papa ders richtet. Wie so oft in Rap-Rezensionen, stehen wir vor dem Problem, dass einzelne Teile eines Lieds so extrem gut sind, dass wir sie einfach in voller Länge bespreche müssen. Sorry, not sorry:

Ich kann Dir nicht erzählen, dass ich alles allein geschafft hab / Weils die Arbeit anderer unsichtbar macht / Ego nicht so big, dass ich das nicht gerafft hab / Gib mir Bühnen, I will share, wie ichs immer gemacht hab / Mache Cash Money, nehme nix schwarz / Hab was bekommen, zahl zurück in den Staat / Dankbarkeit ist nun mal kein Lifestyleprodukt / Ist Kein Hype-Hype der sich dann als Leistung entpuppt / Was für den einen Prestige ist für den andern egal / Ja es gibt Unterschiede beim Startkapital / Ja es gibt Unterschiede-fuck Patriarchat / scheiß auf neoliberal, mir ist lieber sozial / Ich könnte Dir erzählen, dass ich alles allein geschafft hab, man gab mir Bildung, schau was ich damit gemacht hab / Ohne Chancen wär ich jetzt nicht da wo ich bin / Vielen Dank Euer Arbeiterkind

Kompletter Abriss. Yasmos Texte sind in der Regel immer auf dem Punkt, in einem Fall wie hier auf dem Doppelpunkt. Sie gleitet extrem easy zwischen verschiedenen Themen, ohne dabei den roten Faden zu verlieren – im Gegenteil, baut sie noch einen auf. Alles stimmt hier, Mira zusammen mit der Klangkantine auch in fantastischer Harmonie. Ein wohldurchdachter und perfekt umgesetzter Opener, wo die feinen pizzicato Streicher nicht unerwähnt bleiben sollen.

Mira Lu Kovacs ist nicht der einzige Gast, den sich Yasmo eingeladen hat. Auf 90er Kind bekommt sie Unterstützung von W1ze, die ebenso perfekt wie Mira zuvor mit Yasmo zusammenpasst. Der Track stellt einen wunderbaren Trip entlang der Memory Lane dar, mit Old-School-Beat, einem Saxophon in Hochform, Klavier mit großem Einsatz und Flöten, die den Prechorus auszeichnen. Bis W1ze kommt und mit großen Gefühlen aber trotzdem unbeschwert leicht durch die Erinnerungen gleitet. Stimmlich extrem passend. Bei einer Sache kann ich Yasmo nur Recht geben: Muss ich mich entscheiden / Eins Zwei oder Drei / Nehm ich Eins Zwo und will Kamerakind dabei sein / Heute bin ich groß, pass in Fishbone nicht mehr rein / Jamba Sparabo? Heißt das heut nicht Spotify? – ich würd auch eindeutig Eins Zwo wählen. Dreieinhalb Minuten die genau so auch von Preemo und Nas erscheinen könnten. W1ze schließt den Track mit That was fun, I love this song – und auch da will ich mir ihr anschließen.

Mut, Grenzen, Struggles

Verspielter begegnet uns Rich, ein Song, auf dem Yasmo Frauen Mut macht – Du darfst alles sein was du willst, was du bist / Because you are that bitch / Du kannst sagen, tragen, machen, denken, fühlen was du willst / Because you are that bitch. Nur um dann im Chorus von den patriarchalen Strukturen eingeholt zu werden: Kinder kriegen–macht nicht rich / Küche putzen–macht nicht rich / Alte pflegen–macht nicht rich. Sie schließt den Chorus mit einem Verweis auf die narzisstische Instawelt: Ich,Ich,Ich–mach mich rich. Und auch hier haben wir es wieder mit einer zweiten Strophe zu tun, die in ihrer Klarheit wohl nicht übertroffen werden kann:

Nachts den Schlüssel zwischen Fingern, das ist dein Accessoire / Ihr wisst was ich mein, Vous ê tes d’accord avec moi / Wir sind die Töchter der Hexen, die sie nicht verbrannt haben / Wir sind geduldig, aber können auch stressen, es geht viel zu langsam / Du bist immer noch hier, auch wenn sichs anfühlt, als hätte es die Welt nicht kapiert / Ja du hältst dein Revier, Bitch / Widerstand kenn ich gut, aber er macht mit nichts /Ich bin 30, Frau, erfolgreich – ich hab zero fucks to give. Instrumental nehmen sich die Bläser was sie brauchen, bilden zusammen mit der Percussion den Rahmen für die nachhaltige Untermalung von Yasmos Vortrag und Argumenten.

© Karo-Pernegger

Orchestral beginnt auch Mein Nein. Wieder sind es die Bläser, die mit dem Keyboard und den Drums einen derben Beat auflegen. Textlich absolut klar um was es sich hier dreht. Nein heißt nein heißt nein. Und ist auch nicht aus 1996, was wohl an Fettes Brot Jain angelehnt ist. Yasmo switcht ihren Flow gekonnt, gleitet ultrasmooth über den Beat und erklärt auch dem letzten Volldulli, wo die Grenzen liegen.

2019 war für die meisten noch das letzte normale Jahr, bevor die Welt kurz auf Pause gedrückt hat. Für Yasmo galt das nicht, sie erzählt in Issues von ihrem schwierigen Jahr zwischen Ruhm und Stress. Die Klangkantine sorgt wieder für die feinen Akzente, vor allem durch die Intonation der Bläser. Yasmo rappt sich in Ekstase, baut eine Art Selbstgespräch auf, antwortet sich zwischenzeitlich selbst. Sie gibt stolz zu, dass sie Issues hat – und mit ihnen umgehen kann, wodurch sie auch überlebt hat. Ein sehr persönlicher Track, dem Leben zugewandt und trotz aller Issues sehr, sehr euphorisch.

Fuck das Patriarchat

Eines der wohl bittersten, weil realsten Lieder stellt Block dar. Ein Song, der sicherlich von dem ein oder anderen Medium zur feministischen Hymne ausgerufen wird. Was auch vollkommen ok ist, wäre es eben nicht so bitter. Männer verstehen es einfach nicht. Yasmo muss wieder ausrücken und in penibelster Kleinarbeit erklären, welches Verhalten sich wie auswirkt und was es bedeutet, toxisch, energieraubend zu sein. Die Umsetzung dafür angemessen perfekt, der Song entwickelt sich auf mehreren Ebenen, drängt immer weiter nach vorne. Wenn sie am Anfang nur über Drums und Flöte rappt, kommen nach und nach die restlichen Instrumente dazu, bis die Bläser zum Prechorus wieder übernehmen und auch nicht mehr weggehen. Die Percussion zur Hook rundet den stakkato-Stil von Yasmo schlussendlich ab. Ein kurzes Stimmverzerrungssoftware-Intermezzo in Strophe zwei bringt schließlich noch mehr Tiefe. Ich hab noch ein bisschen Energie / Die behalt ich mir! / Ich hab keinen Bock auf dieses Spiel! Bitte spar es dir! Verständlich. Aber so gut umgesetzt.

Um ein bisschen mehr Positivität hereinzubekommen, darf auf Haut dann die Body-Positivity übernehmen. Beat erinnert an alte Detektiv-Filme, mit Flöte, Bläser und dominierendem Bass, samt Streicher. Yasmo feiert sich und ihren Körper ­– tut gut und ihre Leichtigkeit steckt an. Sehr authentischer Track, der zum Schluss auch noch jeden „Makel“ zelebriert.

Scheiß auf die Anderen – Mach lieber Komplimente

Falls man es noch nicht bemerkt hat – Yasmo gehen einige Themen ziemlich am Oasch. Unter anderem die Welt der sozialen Medien und die damit einhergehende Verrückung des eigenen Selbstbilds bis hin zur Abhängigkeit von Insta, TikTok und Co. Das Album heißt nicht umsonst LAUT UND LOST – die Jugend von heute ist gewissermaßen verloren. TL;DR beschäftigt sich damit und wird auch seiner Rolle als Bildungstrack gerecht: Komm lass den Vergleich / Ich will, dass da nix scheißt / Baby lass den Vergleich / Glaub mir, dass du reichst, erklärt sie. Musikalisch spannend: Yasmo wagt sich am Gesang, knallt dafür ein paar passende Stimmverzerrer auf ihre Vocals und kackt damit nicht ab (was angesichts der hohen Scheiterquote von sich gesanglich überschätzenden Rapper:innen eine willkommene Überraschung ist). Sicher, sie strapaziert ihre Range nicht aus. Aber durch die Hereinnahme einzelner Gesangsparts, fettet sie einen ohnehin schon sehr guten, zu einem ziemlich perfekten Track auf. Aja, damit wir das nicht vergessen: Bitte einfach keine Dickpicks verschicken. Und wenn das Gras auf der anderen Seite schon grüner ist, dann gieß halt deinen Garten und lass den Vergleich.

Wer bisher Synthis vermisst hat, wird sich über Cheese sehr freuen. Der Name täuscht dabei nicht, insgesamt ist das ganze Ding schon recht cheesy – aber eben auch fein ansteckend und authentisch. Man fühlt sich wohl in ihrer Feel-Good-Story des Komplimente Machens, lauscht begeistert, wenn sich die vielen Silben der zweiten Strophe noch auf den Takt ausgehen. Ja, wieder kommt der Kollege Autotune kurz zum Einsatz – darf er auch in diesem Fall. Ein wirklich fein-leichter Track über die schönen Seiten des Lebens.

Diese Gangart setzt sie auf Denk an Dich fort. Klavierakkorde und Percussion mit Bläserakzenten die eine angenehme Atmosphäre schaffen. Yasmo dürfte Fiva MC noch nie so nahegekommen sein, wie hier. Einzig der Break von Strophe zu Prechorus und Hook fällt ein wenig zu krass aus. Eines steht aber fest: Wenn jemand jemals so einen Text für euch schreiben sollte, wie Yasmo es hier für diese oder jenen macht – verteilt ein paar Umarmungen.

Mit Piano und dezenten Chören samt antäuschendem Synthi startet Yasmo in den letzten Track von LAUT UND LOST: Bleib im Guten macht noch einmal Mut und Hoffnung, holt euphorische Bläser und Pauken hervor, mit hüpfenden Flöten und der Gewissheit, dass nicht immer gleich Weltuntergang ist. Natürlich liefert Yasmo auch am Closer eine außerordentliche zweite Strophe ab, die jenen helfen kann und soll, die sich lost fühlen. Genau so muss, darf und soll ein Album enden.

FAZIT

Yasmo und die Klangkantine liefern mit LAUT UND LOST ein fantastisches Hip-Hop-Album ab, das in seinen Themen ernst, in seiner Umsetzung aber sehr leicht ausfällt. Die Musiker schaffen es immer die richtige Atmosphäre zu kreieren und die Texte mit starkem Arrangement zu untermauern. Yasmo hat ihr absolutes A-Game ausgepackt und sich einmal mehr den wichtigen, und vermutlich auch sehr anstrengenden, Themen der Gesellschaft gewidmet. Noch flext sie nur in Nuancen. Noch ist aber auch das Patriarchat nicht gefallen. Es möge zusammenbrechen. Nicht nur, aber auch, damit wir Yasmo auch mal komplett anders hören dürfen. Sie hätte es sich verdient. Bis dahin bekommen wir aber hoffentlich weiterhin solch starke Platten, wie LAUT UND LOST.

9,5/10