© CELSIUS GIRLS / TRANSGRESSIVE RECORDS

Genre: Dream Pop, Shoegaze
Schönes Comeback nach vielen Rückschlägen der kanadischen Indie-Popband.
Sie hätten es sich deutlich anders vorgestellt: Als Alvvays 2017 ihr zweites – und durchaus auch beachtetes – zweites Album Antisocialites veröffentlichten, war nach einer ordentlichen Nordamerika- und Europatournee schon eine neue Langspielplatte geplant. Diverse, wirklich teilweise unglaubliche Ereignisse machten aus den Aufnahmen eine fast endlose Odyssee. Zunächst gingen die Demobänder durch einen Einbruch bei Sängerin Molly Rankins verloren. Nur einen Tag später wurde bei einer Kellerüberflutung fast das gesamte Bandequipment zerstört.
Durch die Pandemie und die beschlossenen Einreisebestimmungen, konnte die Band nicht zusammen proben – schon gar nicht mit den zwei neuen Mitgliedern am Schlagzeug und Bass. Erst im Oktober 2021 schien endlich wieder halbwegs Normalität einzuziehen: Die Band traf sich in Los Angeles bei Produzent Shawn Everett. Der sechsfache Grammygewinner blieb seinen unkonventionellen Methoden treu und ließ die Gruppe sämtliche Tracks des neuen Albums jeden Tag zwei Mal hintereinander spielen – mit 15 Sekunden Pause zwischen den Tracks und einer halben Stunde Pause zwischen der gesamten Albumaufnahme. Im Juli 2022 wurde Blue Rev schließlich für Oktober angekündigt.
14 Songs auf gut 40 Minuten erwarten uns. Und wie immer begrüßen uns sehr viele verträumte, eingängige und vertraute Melodien, die den Einstieg in die Platte sehr einfach machen. Pharmacist eröffnet mit typischen Shoegaze-Elementen, holt zum Schluss noch ein größeres Gitarrensolo heraus, das in der Verzerrung glänzt. Diese Gangart wird in Easy on your own? fortgeführt. Mollys Melodien holen ab, sind zwar absolut nicht innovativ, ergeben aber ein stimmiges Gesamtbild. Das größte Highlight dieser Platte fogt mit After the Earthquake: Erinnert stark an die Smiths, hat von Beginn an sehr hohe Pace und die perfekte Stimmung parat. Die Gitarren jangeln vor sich hin, Molly ergänzt mit wunderbaren Harmonien. Wenn es perfekte Indie-Pop-Rock-Songs gibt – dieser gehört dazu. Kleine Solopassagen, Breaks, um den Stimmungsbogen noch einmal zu spannen und ständiger Zug nach vorne.
Ähnlich stark präsentiert sich Pressed: wieder könnte man The Smiths ausfindig machen, man fühlt sich ein bisschen in die 80er zurückversetzt. Sehr verträumt, aber doch mit Wumms. So viel zum Albumstart.
Die Mitte ist mit durchwegs starken Songs gefüllt. Many Mirrors gibt sich als große Nummer, kann durch die Gesangsparts auch ein hohes Ohrwurmpotential vorweisen und dürfte sich musikalisch irgendwo zwischen Springsteen-Abklatsch-Gitarren und Wolf Alice befinden. Synthilastig geht es in Very Online Guy zu – schöne Entwicklungen die an Magdalena Bay erinnern, mit vielen Gesangsleveln und einer guten Mischung aus gewolltem Lärm und zurückhaltender Schüchternheit. Velveteen reiht sich hier ein, hat ein schönes Eingangsriff parat und plätschert angenehm träumend vor sich hin. Tile By Tile ebenso, hat mit Streichern, Piano und Synths noch mehr Finesse zu bieten.
Um nicht in der Trance gefangen zu bleiben, werden auf Pomerian Spinster punkigere Klänge geboten. Eine schöne und auch wichtige Abwechslung. Denn danach wird es ziemlich eintönig. Alle der restlichen vier Nummern haben ihre starken, aber auch sehr dürftigen Momente. Belinda Says kann ins Ohr gehen, gibt aber überhaupt keine Neuerung zum Albumstart. Bored in Bristol funktioniert losgelöst vom Album besser, während sich Lottery Noise am Anfang für eine Gesangssession zu Weihnachten bewirbt. Es passiert sehr wenig, Fourth Figure schließt das Album mit vermeintlicher Größe – die 2012er Version von Lana del Rey hätte ihre Freude mit dem 80sekündigen Track. Blue Rev entwickelt also tatsächlich Längen.
FAZIT
Lyrisch wird nicht viel geboten, musikalisch im Großen und Ganzen schon. Allerdings handelt es sich bei Blue Rev um ein Album, das leider nicht sonderlich gut ausbalanciert ist. Die Tracks ähneln sich zu sehr oder ziehen die Platte einfach in die Länge. Einzeln betrachtet sind die Songs besser als im Kollektivverband. Dennoch können Fans von Dream Pop sicherlich viel mit Blue Rev anfangen.
7,2/10
Früher Sängerknabe, heute zwischen Fußball, Football und viel Musik. Im Herzen immer Punker.