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ELIF – ENDLICH TUT ES WIEDER WEH

© Jive

Genre: Deutsch-Rap/Pop

Die Berliner Musikerin lässt auf ihrem vierten Album Endlich tut es wieder weh den Schmerz zu und befreit sich durch ansteckende Melodien von ihm.

16 Tracks – 46 Minuten. Elif hat eine besondere Stimmfarbe, die sich in fast jeder Situation sehr angenehm anhört. Sie vereint Rap mit Pop, ist sich nicht zu schade, Balladen genauso rauszuhauen wie durchaus in Clubs passende Banger.

Allgemeines

Ihr Hintergrund sollte mittlerweile bekannt sein: Angefangen in der Castingshow Popstars brachte sie es – trotz des bitteren zweiten Platzes – zu einer sehr ansehnlichen Karriere, für die sie in den vergangenen Jahren ordentlich kämpfen musste. Sie hält nicht viel von der verlogenen Musikindustrie, berichtet immer wieder ausführlich über ihre gemachten Fehler und die Schwierigkeiten, in der Szene Fuß zu fassen. Diese Themen hat sie schon auf den Vorgängeralben thematisiert, genauso wie ihre Selbstzweifel und mentalen Probleme. Elif geht offen mit psychischen Erkrankungen um, berichtet stolz, dass sie in Therapie ist. Der angesprochene Schmerz auf dem neuen Album diente ihr als Anker beim Songschreiben, als vertrautes Gefühl, dem man sich auch hingeben und von dem man sich schlussendlich auch lösen kann.

Ihr Sound ist dabei durchaus interessant: Wir bewegen uns irgendwo zwischen Rap, Pop, Neo-Soul oder gar ein wenig Folklore. Der Bass darf tief sein oder nur eine Nebenrolle spielen. Die Texte sind schonungslos offen und ehrlich, es wird abgerechnet oder auch gebeichtet. Toxische Beziehungen, Trauer, Verlust, Angst und Identität sind die zentralen Themen von Endlich tut es wieder weh.

Das kann mal aufgeweckt, mal melancholisch klingen. Elif setzt sich keine Grenzen, weil sie es nicht muss, ihr Talent lässt einen Sprung und eine Verflechtung verschiedener Genres ohne Probleme zu. Aber der Reihe nach.

TRACK BY TRACK

Der titelgebende Opener kommt sehr düster daher, auch wenn die Chöre etwas anderes suggerieren wollen. Ein auffallender Rap-Beat, eine starke Darbietung von Elif, die sich ganz gekonnt ohne Probleme durch die Zeilen schmiegt. Nur im Refrain wird ein bisschen Gesang eingestreut. Sie freut sich, dass der Schmerz vergeht und es trotzdem endlich wieder weh tut. Vom bekannten Schmerz, den man einschätzen kann. Sie verwendet verschiedene Techniken, berichtet von ihrem Leben, davon dass sie noch nie verliebt war und wie es in ihr sonst noch so aussieht. Berlin darf auch nicht fehlen. Ein feiner Start.

Die poppigere Rap-Richtung begegnet uns dann sehr rasch in den folgenden Tracks Bomberjacke und Beifahrersitz. Ersterer konnte uns schon vor Monaten überzeugen, wir bekommen ein stark schwarz zu blau angehauchtes Instrumental, auf dem Elif wieder ihren typischen Rap-Pop-Stil zum Besten gibt. Die Line Kopf ist leer wie Pizzaschachteln bleibt dennoch sehr, sehr, sehr, sehr bitter. Elif geht nach vorne, rastlos, energetisch – macht sie sehr gut. Beifahrersitz bläst in ein ähnliches Horn, wenn auch hier deutlich mehr Gesang im Vordergrund steht. Ein Radiohit, mit wunderbarer Harmonie, der ihre stimmlichen Stärken hervorheben kann. Der Partner ist weg, die Lunge trotzdem voller Rauch, die Erinnerungen an jeder Ecke der Stadt noch sicht- und spürbar. Keine große Theatralik, sondern viel Herz. Man glaubt ihr, das Arrangement orientiert sich zwar an den gängigen Pop-Rap-Mustern, steht Elif aber perfekt.

Ein bisschen schwieriger stellt sich die Sache in Roses dar. Eine wirklich solide Nummer, die aber textlich ein bisschen problematisch sein könnte. Betonung auf könnte. Die Line Weck mich auf wenn Outcast wieder Roses singt, dient als schöner Einstieg, die darauffolgende Zeile Wenn Amy Winehouse wieder Drogen nimmt, muss nicht unbedingt bedingungslos gefeiert werden. Weil: Amy ist tatsächlich den Drogentod gestorben, man könnte sich also auch wünschen, dass sie nie Drogen genommen hätte. Man versteht die Intention hinter Elifs Text und nein, man kann ihr da wirklich überhaupt nichts Böses unterstellen, aber ein bisschen mehr Feingefühl wäre noch drin gewesen. Außerdem: wisst ihr noch, im Opener, als sie sagte, sie sei noch nie verliebt gewesen? In Roses betont sie, dass sie niemals ihren ersten Crush vergisst. Aber gut, wir wollen nicht so sein. Musikalisch ein ruhiger Song, wieder mit durchaus feinen, sanften und langen Passagen. Man kann ihren Texten immer folgen, sie zeichnet mit wenigen Worten ziemlich detaillierte Bilder.

Auch bei Elif scheinen die mittlerweile in der Musikbranche sehr in Mode gekommenen Mordfantasien Einzug gehalten zu haben. Ganz im Gegensatz zum komplett entspannten Lagerfeuer-Riff ihrer akustischen Gitarre, singt Elif darüber, wie sie ihr Babe bald aus Liebe umbringen wird. Mit einer Walter B. Spannender und gut umgesetzter Ansatz. Bald tut es nicht mehr weh. Ein Song, ganz offenbar direkt aus dem Herzen heraus, der so roh sein muss und darf, dass auch das Gitarrenspiel nicht perfekt aufgenommen werden muss.

Theatralischer, aber nicht weniger wuchtig begegnet sie uns auf Himmel, wo sie sich stark mit ihrem Glauben und dem Leben nach dem Tod beschäftigt. Wieder entwickelt sich aus einem anfänglich sehr ruhigen Track eine gewisse Dynamik, die Elif nach vorne ziehen lässt. Auch wenn in ihrem Leben nicht alles glatt läuft, hat sie immer versucht, nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln. Sie will auch dorthin kommen, wo ihre verstorbene Mutter jetzt ist.

Der größte Stilbruch folgt mit Lonely. Es bounct an allen Ecken und Enden, aber nicht so, dass man unbedingt mitmachen möchte. Elif singt über ihre Einsamkeit, in der bitterst-vorstellbaren Form. Dieser Track ist eintönig, repetitiv und ihr eigentlich nicht würdig. Ich mein, man gönnt ihr die lichten und hellen Momente abseits des Schmerzes sehr – oder zumindest diesen Zugang dazu – muss sich aber auch zusammenreißen, nicht allzu schnell den Skip-Button zu drücken. Natürlich wird man dieses Lied längere Zeit nicht mehr los, die bekannte Melodie brennt sich ins Hirn ein, ob man will oder nicht. Der mit ganz großem Abstand schwächste Song des gesamten Albums.

Wieso ich? Fragt sie im gleichnamigen Lied immer wieder. Sehr mysteriöses instrumental, auch Elif hüllt ihre Stimme in ein paar Stimmverzerrungsmäntel. Passt alles, auch wenn wir hier zu einem sehr krassen Cut nach Lonely kommen. Weil du mich geliebt hast entführt uns in Richtung Electronica. Elif legt die Strophen tiefer an, baut die Stimmung gekonnt zum Refrain auf und haut alles was sie hat im Hauptteil raus. Genau so kann man Pop im Jahr 2023 machen, mit reduzierten, aber spannenden Facetten, die man mit dem stimmlichen Beitrag auffettet. Nach Aufnahme dieses Songs dürften ihr mehrere Kilo vom Herz abgefallen sein. Wie so oft schon gesagt – man glaubt ihr, was sie singt.

Und dann kommt es endlich, das Guilty Pleasure. Der Song, den man ballert, auch wenn man nicht unbedingt weiß, warum. Auch wenn er ein paar cringy Lines beinhaltet. Wenn ich sterbe wurde schon vor wenigen Wochen in den Tracks der Woche genauer besprochen – das Fazit bleibt dasselbe: Kein die Musikwelt revolutionierender Track, dafür aber einer, dem man sehr leicht verfallen kann. Legt euch einfach nie mit Elif an – das sollte spätestens nach diesem Song klar sein. Stimmlich ist alles dabei, Tiefen, Höhen, Rap, aufwendiger Gesang.

Eine ganz große Ballade muss auch sein: Du hältst meine Liebe nicht aus. Was wie ein Songtitel von der Gruppe Echt klingt, entpuppt sich als wunderbar gesungenes Werk, dessen aufrichtiger Text hervorragend von Elif inszeniert wird. Auch dieser Refrain wird sich im Ohr festsitzen – im Gegensatz zu Lonely darf er aber bleiben. Sie beschreibt die Struggles einer einseitigen Liebesbeziehung, ohne großen Kitsch. Ein Lied, dass sich für kommende Casting-Showgenerationen optimal für diverse Vorstellungsrunden eignet – und das soll nicht despektierlich gemeint sein.

Fast nahtlos gehen wir in Weisst du wie es ist über. Elif spricht hier ganz offen über Depressionen und die damit einhergehende Hilflosigkeit. Nur das Klavier bleibt ständig an ihrer Seite, ehe im zweiten Teil dieses sehr ruhigen Tracks das Schlagzeug hinzukommt. Sie macht hier keine großen musikalischen Sprünge zum Rest des Albums, es passt aber thematisch perfekt.

Zwei Features dürfen nicht fehlen: 1986zig ist bei Mensch sein dabei, dessen Hook lyrisch durchaus ausbaufähig gewesen wäre (Dollar – Madonna-Reim). 1986zig haut alles an Theatralik raus, was er zu bieten hat, durchaus zu viel des Guten. Hier wäre weniger mehr gewesen, der ganze Track trieft fast ständig voller vermeintlicher Größe. Dabei gibt es auch gute und passende Sequenzen, die aber leider von diesen von Schmerz aufgeladenen Gesangseinlagen manipuliert werden.

Besser fühlt sich der Track mit PA Sports an. Zwar gibt’s auch hier absolute Rap-Pop-Duett-Stangenware, aber die beiden Harmonieren sehr gut miteinander. Jetzt ist laut Elif übrigens die Liebe ihres Lebens gegangen (sie war also doch verliebt). In PAs Part kommen die Drums zum Klavier, was einen angenehmen Drive entstehen lässt. Ja, auch hier gibt’s wieder Theatralik – aber eine bessere Umsetzung als auf dem vorangegangenen Track.

Das Album wird sehr persönlich geschlossen. Warum lügst du mich an wird man sehr schnell mögen, wenn man auf die radiotauglichen Rap-Pop-Nummern steht. Elif wendet wieder verschiedene Flow an, singt und rappt wie sie will und liefert einen grundsoliden Song ab. Unendlichkeit dient als ruhiger Rap-Closer. Elif fühlt sich in den Tiefen wohl, spricht noch einmal offen über Zweifel, über persönliche Weiterentwicklungen, über den Tod ihrer Mutter im Allgemeinen. Komplett aufrichtig, komplett aus der Seele heraus. Elif muss nicht die großen Balladen bringen, um zu überzeugen. Diese Art des Sounds – ein echter Raptrack – steht ihr mindestens genauso.

FAZIT

Bis auf einen Ausreißer, kann Elif mit Endlich tut es wieder weh überzeugen. Die Geschichte des Albums wird stringent erzählt, die Texte kreisen um dieselben Themen, vermeiden aber grobe Abnützungserscheinungen. Ihr Sound ist variabel, manchmal schwer, manchmal leicht, mal theatralisch, dann wieder quirky. Die Talentprobe wurde schon längst abgegeben, die Manifestation als eine der besten deutschen Musikerinnen mit diesem Album in die Wege geleitet. Schönes Ding, vor allem für alle, die sich in Pop-Rap hineinlegen möchten.

7,6/10