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Genre: Indie-Pop/Rock
Die Supergroup ist wieder da – wobei, eigentlich ist My Ugly Clementine in dieser Konstellation zum ersten Mal auf der großen Bühne zu sehen: Sophie Lindinger, Mira Lu Covacs und Nastasja Ronck bilden das österreichische Trio, das mit dem neuen Album ein weiteres Mal ihr großes Talent und Können unter Beweis stellt.
Kurzer Rückblick: My Ugly Clementine schlug 2019 mitten in der Pandemie auf, bestand damals noch aus Mira Lu Kovacs von Schmieds Puls, Sophie Lindinger von Leyya, Kom Kolleritsch – mittlerweile als Kerosin95 bekannt und Barbara Jungreithmeier. Das Debütalbum Vitamin C war ein großer Erfolg – sowohl bei Fans als auch Kritikern und bescherte der Band die Auszeichnung als Europas Indie-Album des Jahres. Nach dem Ausstieg von Jungreithmeier und Kerosin95 ist Nastasja Ronck von Sharktank die neue Dritte im Bunde. Jetzt folgt mit The Good Life der Nachfolger, der erstmals beim Major-Label BMG erscheint.
Und der klingt doch anders als die erste Platte. Die drei Künstlerinnen bringen ihre individuellen Charakteristika mit, schaffen es, sie miteinander zu verbinden. So gestalten sich die zwölf Nummern äußerst aufregend, spannend und abwechslungsreich. Der Titel der Platte ist außerdem Programm – das gute, schöne Leben steht im Mittelpunkt, wenn auch unter verschiedenen Aspekten. Einerseits geht es um die Suche und dem Streben nach Glückseligkeit, andererseits um die Freude über gewisse Kleinigkeiten, um die Zelebrierung der Frauenfreundschaft.
Das wird schon im Opener Circles deutlich, eine Ode an die Kameradschaft der Gruppe. Life is difficult, but us friends, we’re close – don’t you fade away, we’ll be here to stay heißt es da. Die Gitarren fallen üppig aus und der mehrstimmige Gesang untermauert die gesungene Botschaft. Ein kleines Riff mit großer Durchschlagkraft und einem allgemein sehr stimmigen Aufbau. Gegen Ende wird Dynamik rausgenommen und Aufnahmen eines ausgelassenen, fröhlichen Abends eingespielt. Sehr viel Energie zu Beginn und ein Lustmacher auf mehr.
Als große Leadsingle diente Are You In – und auch nach Wochen des erstmaligen Hörens kann dieser Song seine Power und seine Kraft immer noch ausspielen, vermutlich sogar noch ausbauen. Wieder so ein mächtiges Riff zum Start, ehe es vermeintlich gediegener weitergeht. Die Gitarren beginnen aber wieder relativ rasch zu raunen und es wird von Therapiebesuchen gesungen. Are You In the good life – wird schließlich als Frage gestellt. Euphorisch und auch ein bisschen elegisch, vielleicht auch trippy wird über das gute Leben geträumt. Sehr treffend.
Die Pace wird im folgenden Let Me Go hochgehalten. Hier geht es ein bisschen schriller zur Sache, ehe sich Klarheit im Refrain auftut. Sehr schöner Mehrgesang bildet den Hauptteil des Songs, der vor allem von den antreibenden Drums definiert wird. I’ll never let you go ertönt, bevor es zum großen Break zur Songmitte kommt und die Reduktion übernimmt. Verletzlicher Gesang übernimmt und schmiegt sich über die zarte Gitarre. Das stimmliche Zusammenspiel der Musikerinnen verläuft ausgesprochen harmonisch.
In den ruhigen Momenten kann My Ugly Clementine gleich überzeugen wie in den lauten. Too Much geht es bedächtiger an, kann durch die dezente Gitarre mit dem sehr saften Gesang einen schönen Stimmungsbogen aufbauen, ehe wieder mehr Drive aufgenommen wird, wenn die Drums einsetzen und die Vocals anziehen. You break my heart then you leave me alone wird im Hintergrund wiederholt, bis darüber noch eine dramatische Gesangsstimme erklingt. Ein ganz starker und berührender Song.
Das Internet kann bekanntlich seine Vor- und Nachteile haben. In WWW wird diese Dualität besungen – die Gitarren sind verzerrt und bewusst schief, während Sophie nach einer Antwort von allerlei persönlichen Problemen googelt. Mal mit Erfolg, mal mit mehr Zweifeln als vor Eingabe des bestimmten Themas. Schlussendlich regiert ein bisschen das musikalische Chaos – eine schöne Interpretation des World Wide Web.
So richtig nach vorne zieht die Band auf No. Viel Power mit anderem Ansatz – Stakkato steht im Mittelpunkt, nur gebunden durch die schöne Fülle des Gesangs im Refrain. Let me tell you – you can do it wird in der zweiten Strophe mit auf den Weg gegeben. Die Dynamik wird ein wenig herausgenommen, von der Wucht verlieren die Musikerinnen aber nichts. Ein Track, der noch einmal ganz anders klingt als alles zuvor gehörte und dennoch gut in das Gesamtkonzept passt. Insgesamt durchleben wir hier verschiedene Abschnitte – mit dem Hinweis: Here’s the Line, do not cross it.
The Adivser gibt einen sehr großzügigen Einblick in das Seelenleben der Band, musikalisch zunächst sehr harmonisch ausgelegt mit herrlichen Mehrgesang und einer allgemein sehr schönen Harmonie. Auch bei diesem Song findet wieder eine Entwicklung statt, sie ziehen nach vorne, wenn auch ein bisschen stockend. Persönlich hätte ich mir noch mehr Fluss, mehr Dynamik gewünscht – aber insgesamt sehr gelungen.
So geht es auch ein bisschen mit Impossible Situation. In den Strophen herrscht eine wunderbar aufregende und sich gut auflösende, nach Befreiung schreiende Stimmung, die vom etwas trägen Refrain eingebremst wird. Die Gitarre lockert aber zwischendurch noch einmal auf. Things zeigt sich wieder heiterer, auch wenn der Text etwas anderen ausdrücken möchte. I hate the way I don’t hate you not even close at all beginnt es im Refrain, ehe Nanana-Chöre einsetzen. Diese Simplizität ist nachvollziehbar, fühlt sicht trotzdem ein bisschen unzufriedenstellend an. Hier ist ein bisschen Potential liegen geblieben.
Einfach mal nichts tun ist auch eine wichtige Sache. Feet Up zelebriert die Entschleunigung und die Zeit zu Hause mit einem wahnsinnig einnehmenden Instrumental – vom Riff bis hin zum Gesang. Drei sehr befreiende Minuten samt Musikvideo, dass für Gesprächsstoff sorgte. Gegen Ende von The Good Life finden sich mehrere Perlen. Would Do It Again ist ein Lied, in das man sich vom ersten Ton und Takt an verliebt. Liegt vermutlich daran, dass My Ugly Clementine Haim noch nie ähnlicher geklungen hat. So und jetzt ist es leider passiert und ich hab den Vergleich mit der kalifornischen Schwesternband doch gezogen. Aber vom Arrangement über die Vocals bis hin zum Gitarrensolo hört man sehr viel Women in Music III heraus. Liebe diesen Song sehr, zum Hineinlegen und genießen.
Mit How Would I Know What I Know endet das Album und My Ugly Clementine zeigt noch eine weitere Facette in ihrem Repertoire. Eine reeduzierte Gitarre im Schatten von aufwendigem Gesang. Der Track ist nicht laut oder aufdrängend, hat aber eine enorme Anziehungskraft und kann in jeglicher Weise überzeugen. Vor allem als Closer eine sehr gute Wahl.
The Good Life ist ein herrliches Album, ein befreiendes Album, ein manchmal an sich selbst zweifelndes Album aber vor allem ein die Freundschaft feierndes Album. My Ugly Clementine sind auf einem sehr guten Weg, eine international erfolgreiche Karriere starten zu können. Großer Sound – wieder mal aus Österreich.
8,4/10
Früher Sängerknabe, heute zwischen Fußball, Football und viel Musik. Im Herzen immer Punker.