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BILLIE EILISH – HIT ME HARD AND SOFT

© DARKROOM

Genre: Alt-Pop

Hit Me Hard and Soft, ihr drittes Album, ist endlich da. Ohne großes Brimborium auf den Markt geworfen, ohne Vorabsingle oder sonstige Promomoves. Das Datum war bekannt, den Rest überließ Billie der Vorstellungskraft ihrer Fans und Interessierten. Mit 22 Jahren hat Billie Eilish schon alles erreicht, was man im Musikgeschäft erreichen kann: Neun Grammy Awards, darunter Auszeichnungen in allen Hauptkategorien und darüber hinaus noch zwei Oscars für den besten Filmsong, sind nur ein kleiner, marginaler Teil von Preisen, die mittlerweile auf ihrem sehr großen Kaminsims stehen.

Billie Eilish ist eine Ikone, ein Vorbild und Stimme für eine ganze Generation und außerdem noch eine exzellente Musikerin. Zusammen mit ihrem Bruder Finneas bildet sie ein nicht zu stoppendes Duo, dass sich keinerlei Grenzen setzt und mit jeder Veröffentlichung noch mehr wächst. War das Debütalbum When we all fall asleep where do we go 2019 noch ein aufregender Pop-Trip durch viele Ängste und Sorgen der damals 17-Jährigen, vollzog sie 2021 mit ihrem Folgealbum Happier Than Ever einen kleinen Imagewechsel. Blonde Mähne, erwachsenere Themen, mit vielen sehr guten Songs, die aber lange nicht die Wucht ihres Debüts mitbrachten. Mit dem jetzt herausgekommenen hit Me Hard and Soft kehrt Billie wieder vermehrt zum Sound des Debüts zurück, es wird wieder richtig spannender Pop gemacht und über Liebe und Verlust, Sehnsüchte und Freiheiten, als auch What-If-Szenarien gesungen. Oder auch einfach über Sex, wie man auf Lunch, der jetzt doch noch zur Leadsingle auserkorenen Auskopplung hören kann. I Could Eat That Girl for Lunch gibt sie hier zu verstehen. Billie lebt seit letztem Jahren offen queer, auch wenn ihr Outing – sofern man es überhaupt so nennen kann – nicht typisch von statten ging, sondern sie mehr oder weniger im Rahmen einer Veranstaltung auf dem roten Teppich von der Zeitschrift Variety zu ihrer sexuellen Orientierung festgenagelt wurde. Auf hit me hard and soft macht sie keinen Hehl aus ihrer sexuellen Orientierung und diktiert selbst, wieviel sie preisgeben möchte. Wie eben auf Lunch.

Dieses Lied wird nächste Woche in sämtlichen Charts – zumindest in den großen – ganz oben stehen, was auch nachvollziehbar ist. Es ist ein kluges Stück über die Vorfreude auf die Partnerin, aufgefettet vom eingängigen Beat, dem Klavierthema und dem verzerrten Bass, samt gelungenem dynamischen Spiel. Die ganz große Ekstase bleibt zwar aus – aber im Ohr bleibt der Song halt doch.

Billie sagt generell immer was sie sagen möchte, ziemlich direkt und unverblümt. Das hört man schon im Opener Skinny wo sie mit dem Satz People say I look happy just because I got skinny die Kritik an ihrem Körper sehr rasch betitelt. Auf Dreampop-Klängen samt Streichern. Es mangelt Finneas und Billie nicht an Ideen, die auffälligste auf Hit Me Hard And Soft ist sicherlich die beständig unbeständige Hereinnahme von fetten Synthies im 80er-Klangkleid. Da wird Finneas zu einer Mischung aus Tame Impala und a-ha, da kann Billie sich auch mit verschiedenen Verzerrungen über ihrer Stimme austoben und über die Herausforderungen von Liebe oder das Ankommen in einer Beziehung, oder einfach nur über Sex singen.

Gib mir Synthesizer

Billies und Finneas Talent muss ja eigentlich nicht mehr näher beschrieben oder erwähnt werden – aber was sie zum Beispiel auf einem Song wie Chihiro fabrizieren, ist schon allererste Klasse. Der Titel geht auf den im Jahr 2001 Oscar-prämierten Manga Spirited Away zurück, in dem – verkürzt gesagt – sich ein Mädchen namens Chihiro ihren Ängsten stellt. Billies gleichnamiger Song ist einer der besten dieses Jahres und vereint die zuvor angesprochenen neuen Klänge mit ihren alten Stärken, hauptsächlich aus ihrem ersten Album. Fünf aufregende Minuten, zunächst ruhig und in gewohnter Lässigkeit vorgetragen, wird Chihiro immer spannender, was nicht zuletzt am Synthie, sondern auch an Billies Falsett liegt. Zum Schluss gibt‘ dann wirklich noch eine Explosion – bekommt mich voll.

Das lockere Liebesstück Birds of a feather, erinnert mit seinen Instrumentals ein wenig an die 80er-Jahre und strahlt eine wahnsinnige Wärme aus. Dieses Lied bekommt einen sehr schnell, ist ein feiner Lovesong, der einfach auf wunderbare Abstimmung zwischen Billie und Finneas setzt. Die Reduktion zur zweiten Strophe lässt eine spätere Steigerung zu, was den Spannungsbogen hochhält.

Wildflower beschreibt eine gar nicht so unkomplizierte Liebesbeziehung zu einem Ex-Partner einer Freundin. Auch hier setzt Billie wieder auf die Ruhe, die allerdings spätestens im Chorus abgelegt wird – zumindest für ihre Verhältnisse. Ist ein guter Song, wobei ich hier den Vorwurf der Längenbildung fast gelten lasse. Mir persönlich fällt die Dauer von viereinhalb Minuten nicht auf, aber ich kann verstehen, dass einigen Hörer:innen vielleicht zu wenig passiert.

The greatest schlägt mit einem wunderbaren Arrangement auf – zunächst ruhig und zurückhaltend, ehe mehr und mehr die Opulenz dazukommt und ein echtes erregendes Moment entsteht. Finneas weiß schon genau was er macht und Billies Storytelling über die Liebe, Reflexion und die Opfer die man in oder für eine Beziehung bringt, sind absolut am Punkt. Dieser Song ist voluminös und schlichtweg groß, ein fünfminütiges Brett.

Bisschen zu sicher

L’Amour De Ma vie ist eine kleine Abrechnungshymne, zweigeteilt aufgebaut, beginnend mit Tönen und Sound, den man von Billie kennt und liebt. Bis der Song nach einem Break eine scharfe Wendung nimmt und ein echtes Synthie-Feuerwerk gezündet wird und Billie ihre beste Charli XCX-Stimmverzerrungs-Version abgibt. Lieb ich vollkommen, von der ersten Sekunde an – diese Gesangsmelodie lädt zum Verweilen ein, alles hier ist angenehm und der zweite Teil des Lieds kam unerwartet, bleibt aber eines der größten Highlights. Die Verzerrung steht Billie – auch wenn manche Dinge einfach wild zusammengewürfelt sind.

Am sichersten spielen Finneas und Billie auf The Diner wo die Essensmetaphern, die sich durch das Album ziehen, fortgesetzt werden. Dieser Song ist keineswegs übel, hat aber auch keine großartigen Neuheiten zu bieten – ist ein Lied, dass irgendwann zwischen When We all Fall Asleep und Happier Than Ever entstanden sein könnte – nur, dass hier die Aufregung des typischen O’Connell-Sounds nicht gegeben ist. Der Gesang außerdem ziemlich vernuschelt im Allgemeinen.

Die Synthies kehren auf Bittersuite noch einmal zurück und beginnt ziemlich episch und groß, entwickelt sich anschließend in lockeren Pop nur um zum Schluss wieder die Synthies zu zünden. Ist vielleicht ein bisschen unstrukturiert, erzielt aber dennoch Wirkung.

Der Closer Blue funktioniert herrlich als Zusammenfassung des gesamten Albums, schließt einige inhaltliche Kreise mit einer sehr gelungenen Melodie – ruhig, balladenhaft und schlussendlich auch wieder nach vorne ziehend.

Fazit

Dieses Album ist ein Genuss und verdeutlicht die beeindruckende Weiterentwicklung von Billie Eilish und Finneas O’Connell, die bereits auf einem hohen Niveau tätig waren und dennoch weiter überraschen können. Ich mag’s sehr, auch wenn vielleicht nicht immer die ganz großen Neuheiten bietet. Dennoch wieder eine Steigerung, wenn auch nicht so stark wie ihr Debüt.

8,1/10