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Mit Spannung und mancherorts sicher auch einer Portion Sehnsucht, wurde das Debüt-Album von Olivia Rodrigo erwartet. Jetzt ist SOUR endlich da – und der Disney-Star macht darauf sehr vieles richtig.
Irgendwas ist in den vergangenen Jahren passiert. Die Musikwelt scheint immer jünger zu werden, die Superstars kaum aus den Kinderschuhen geschlüpft zu sein. Billie Eilish zählt zu den größten Popstars dieser Tage, wird sich spätestens jetzt aber mit Olivia Rodrigo um den Titel der Queen of Teenager streiten müssen (was sie sicherlich nicht tun werden).
Der Hit des Jahres
2021 ist noch kein halbes Jahr alt und dennoch scheint der größte Hit des Jahres schon erschienen zu sein. drivers license hat seit Veröffentlichung Anfang Januar die Chartspitze in 25 Ländern erreicht. Die Single stand acht Wochen auf Platz 1 der Billboard-Charts, neun Wochen in Großbritannien. Eine Powerballade einer gescheiterten Teenie-Beziehung. Perfekt umgesetzt, Olivia kann singen. Talent, dass früh erkannt wurde und ihr die Türen in die berühmt und auch berüchtigte Disney-Welt öffnete. Mit 13 Jahren startet sie 2016 in der Serie Bizaardvark, seit 2019 spielt sie Nini Salazar-Roberts in der Serienadaptierung des Teenie-Klassikers High School Musical. Jetzt mit 18 Jahren erfolgt der Aufstieg in den Pop-Himmel.
Man könnte vermuten, Rodrigo wählt den klassischen, vorgegebenen Disney-Weg. Ein Album voller Balladen, die die pure Stimmgewalt in den Mittelpunkt stellen. Auch wenn drivers license diese Vermutung bekräftigt, überrascht SOUR schlussendlich. Keine Demi Lovato-Vibes, kein stumpfes heruntersingen von endlosen Phrasierungen. Viel mehr orientiert sich Rodrigo an einem anderen Weltstar: Taylor Swift.
Lass mal selbst schreiben
Eines der bemerkenswertesten Merkmale des elf Lieder umfassenden Albums ist das Songwriting. Nicht weil man auf SOUR tiefgründige Lyrics findet, sondern weil Rodrigo zusammen mit Produzent Dan Nigro sämtliche Lieder selbst geschrieben hat. Kein Songwriter-Team, keine ausgewählten Songs die zuvor anderen Künstlerinnen angeboten wurden – Olivia macht ihre Musik selbst. Taylor Swift bekommt für 1 Step Forward, 3 Steps Back einen Songwriting-Credit. Rodrigo interpretierte Swifts New Year’s Day auf der ruhigen Klavier-Nummer, neu. Ein Track, der jede Telenovela dieser Welt bereichern wird.
Die Disney-Maske will sich Rodrigo nicht überziehen lassen. SOUR wird zwar gerne als Bedroom-Pop beschrieben, hat aber durchaus einige Facetten im Angebot. Im Opener brutal wollen die Streicher zunächst auf eine ruhige Fährte locken, ehe die Ruhe von strummenden Gitarren unterbrochen wird. Pop-Punk, wenn man es so nennen will. brutal ist nicht die beste Nummer des Albums, eher repetitiv und zu einfach gestrickt – aber sie zeigt, dass Olivia gerne verschiedene Genres ausprobiert.
Herzschmerz
SOUR ist die musikalisch gewordene Teenie-Dramaserie. Olivia Rodrigo wurde durch ein anderes Mädchen ersetzt. Das besingt sie in fast jedem Lied. Erwachsenwerden war noch nie einfach, man muss es ihr auch erlauben, ihre Gefühle in ihrer Musik zu verarbeiten. Dementsprechend cringy werden die Texte an einigen Stellen – aber das sei einem 18-jährigen Teenager verziehen. Sie versucht auch ernste Themen anzusprechen, im Closer hope ur ok spricht sie über das Leben von Außenseitern, zu Opfern von Kindesmissbrauch und zu all den Menschen, deren Eltern Probleme mit der sexuellen Orientierung ihrer Kinder haben. Sehr gut gemeint, aber nicht wirklich stimmig auf dem Album – aber solange er den adressierten Hörern hilft, erfüllt er zumindest seinen Zweck.
Der Rest des Debüts beschäftigt sich mit weiblicher Konkurrenz und dem Ex-Freund. good 4 u ist die lauteste Nummer der Platte, da darf man jetzt tatsächlich den Pop-Punk-Stempel auspacken. Gleichzeitig gibt sie auch Einblick in ihre eigenen Unsicherheiten: I wore makeup when we dated ’cause I thought you’d like me more, heißt es zu Beginn von enough for you. Dort singt sie sich auch die Seele aus dem Leib, ein wenig zu viel. In happier werden sämtliche Ed Sheeran-Fans auf ihre Rechnung kommen, ein Lied so spannend und erfrischend wie eine neue Grey’s Anatomy-Staffel. Man sieht das Musikvideo schon vor dem inneren Auge, Olivia im Ballkleid, praktisch tänzelnd-schwebend durch einen großen Saal gleiten.
Ein wenig Billie Eilish gibt es dann auch noch. jealousy, jealousy verwendet viele Elemente eines typischen Eilish-Songs: Mehrstimmigkeit zum Refrain, eine starke Bassline, bis sie wieder in den Rage-Mode wechselt und sich ihre komplette Eifersucht von der Seele schreit.
Für TikToks
SOUR unterscheidet sich deutlich von den meist seichten Alben aus dem Disney-Umfeld. Ein wenig Folk (wenn man das so haben will) wird hier ebenso geboten, wie Pop-Punk oder schlichter Pop. Generell erinnert das Album an die Anfänge ihres großen Idols Taylor Swift, die ebenfalls jahrelang ihr Liebesleben (mit ähnlichen cringe-Zeilen) besungen hat. Olivia Rodrigo kann auf SOUR aufbauen, es gab schon sehr viele, sehr viel schlechtere Debüts von Disney-Sternchen. Gerade die von Rodrigo angesprochene Zielgruppe wird große Freude mit dem Album haben.
Früher Sängerknabe, heute zwischen Fußball, Football und viel Musik. Im Herzen immer Punker.