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Vom Grime vergangener Tage ist nicht mehr viel übrig. Trotz seines jungen Alters hat sich Dave dem Conscious Rap verschrieben, er behandelt also politische und sozialkritische Themen in seinen Texten. Dementsprechend groß war die kurze Vorfreude von der Ankündigung bis zum fertigen zweiten Album. Und gleichzeitig lastete auch großer Druck auf den Schultern des immer noch sehr jungen Rappers, der sich fast schon in Nas-Gefilden bewegte und an sein persönliches Illmatic anknüpfen musste.
Die großen Banger findet man auf diesem Album nicht. Das liegt vor allem an der Beataswahl, die sich hauptsächlich ruhiger gestaltet. Über ein Klavier zu rappen ist eine der großen Stärken von Dave, das hat sich spätestens mit seinem sensationellen Auftritt bei den 2020er BRITs herumgesprochen. Er bleibt dieser Linie Großteils treu. Es scheint, als ob ihm der musikalische Hintergrund nicht so wichtig wie das gesprochene ist.
Schon im Opener We’re All Alone kommt das Klavier zum Einsatz und ein Text, der Einsamkeit und Selbstmordgedanken seiner Fans behandelt. Dave will Hoffnung geben und erzählt seine eigene Geschichte.
Da das Album suggeriert, dass man zusammen weniger allein ist, hat sich Dave auch sehr viele Freunde und Kollegen eingeladen. Auch wenn Spetzl #1 AJ Tracey nicht dabei ist, fällt vor allem einer auf: James Blake. Der Meister des modernen Piano-Sounds mit dem unverwechselbaren Falsett tritt sowohl als Produzent als auch als Gast auf. Both Sides Of A Smile ist mit acht Minuten nicht der längste Song der Platte, dafür aber der merklich breiteste. Ein Zweiteiler über eine gescheiterte Liebe und Daves altes Leben als Jugendlicher und Heranwachsender – auch im kriminellen Milieu. Im ersten Teil ist zudem noch ShaSimone zu hören, die sich perfekt integrieren kann. Both Sides Of A Smile ist ernst und gleichzeitig enorm befreiend. Ein fantastischer Song der die hervorragende Chemie von James Blake und Dave offenbart. Und ja, Dave braucht eben nicht unbedingt die härtesten Trap-Beats, die er zwar auch bewältigen kann, um Wirbel zu machen.
Richtig spaßig wird es in In the Fire, einer siebenminütigen Rap-Orgie mit Veteranen des britischen Raps Ghetts und Giggs sowie Fredo und Meekz. Da werden Bars rausgedrescht ohne Zeit für eine Hook oder ähnliches zu verschwenden. Der Sound erinnert an Werke von Kayne West (als er noch pünktlich Musik veröffentlicht hat). Man kann dieses Ding nur feiern, jeder einzelne bringt seine Leistung.
Three Rivers wurde von Blake produziert, was natürlich nicht lange verborgen bleibt. Ein Song über mehrere Migrationswellen, etwa der Windrush Generation in den 1960er Jahren, den Flüchtlingen des Balkankriegs in den 90er Jahren und den aktuellen Flüchtlingen aus dem nahen und mittleren Osten. Lyrisch kann man Dave generell nicht das Wasser reichen, sein Talent Dinge beim Namen zu nennen und dennoch Interpretationsspielraum zu schaffen ist außergewöhnlich. Oscar-Preisträger Daniel Kaluuya steuert zudem noch das Outro bei.
Migration, Integration, die Probleme im Alltag als schwarzer oder Migrant bilden die Hauptthemen von We’re All Alone In This Together, das im fast zehnminütigen Manifest Heart Attack seinen Höhepunkt findet. Ein Song der einen packt und nicht mehr loslässt, auch wenn der Beat diesmal so ruhig ist, dass er beim gemütlichen Gitarrenspiel am Lagerfeuer geschrieben werde hätte können. Dave erzählt eine Geschichte die unter die Haut geht, die man kennt, aber nicht erlebt hat – schon gar nicht als weißer. Seine Delivery, sein Vortrag hat alles was man sich wünscht, er rappt sich sein Herz aus der Seele. Heart Attack darf als Fortsetzung des 2016 erschienen Songs Panic Attack gesehen werden. Das ist ganz, ganz große Kunst des Storytellings, die man in der gesamten Rap-Welt wohl nur von zwei, drei anderen Rappern erwarten kann. Irgendwann verschwindet die Gitarre und das Klavier übernimmt – natürlich wieder James Blake – bis auch die Anschläge der Tasten verschwinden und Dave a Capella rappt. Spätestens da ist alles vorbei und Heart Attack wird zum Frontrunner für den Song des Jahres.
Der Closer Survivor’s Guilt verwendet Samples von Jorja Smith und behandelt eine gescheiterte Beziehung, seine mentale Gesundheit und die Opfer die Daves Mutter bringen musste, um ihn auf Schiene halten zu können. Da könnte man viellleicht erwähnen, dass Daves Bruder schon lange Zeit im Gefängnis sitzt. Ein wuchtiger Abschluss.
Nur selten bricht er das Schema, etwa in Verdansk, das mit enorm vielen Referenzen auf den Ego-Shooter Call of Duty:warzone daherkommt. Ein Krieg gegen die Hater, der ausnahmsweise auch mit einem ordentlichen Bass daherkommt. So auch in Clash mit Stormzy, der Vorab-Single des Albums. Zwischendrin wird es aber auch melodischer. Ein Run von drei Songs mit Afrobeats hebt die Stimmung. System hat Wizkid mit dabei, den King dieses Genres. Es wird ein wenig geflext, generell einfach das Leben genossen. So verhält es sich auch mit Lazarus Law of Attraction mit der schwedischen Sängern Snoh Aalegra. Und richtig melodisch wird es dann in Twenty To One, dem Track auf dem Dave singt.
Daves zweites Album schafft es den Erwartungen gerecht zu werden. Sein Storytelling ist in großen Teilen von einem anderen Stern, die vielen Referenzen auf Persönlichkeiten aus Sport und Musik sind nur das Tüpfelchen auf dem I. Dave hat was zu sagen und macht das in beeindruckender Art und Weise. Bleibt nur noch die Frage: Wie gut ist das Ding?
Tatsächlich wird nicht jeder gänzlich glücklich mit den ruhigen Beats sein. Und ja, Conscious Rap kann anstrengend sein, weil er selten etwas ist, dass man vollkommen nebenbei laufen lassen kann. Und dann noch zwölf Songs in eine Stunde zu verpacken – das ist auch nicht jedermanns Sache im Spotify-Zeitalter.
Man kann aber nicht anders, als von einem fast perfekten Meisterwerk zu sprechen. Ja, ein wenig mehr Diversität hätte We’re All Alone In This Togehter noch gut getan. Wer die Höchstwertung haben will, muss sich mit To Pimp A Butterfly messen und da geht es sich knapp nicht aus. Deshalb bekommt Daves zweites Album nicht nur das Prädikat bestes Rap-Album 2021 bisher.
4,5/5 Pandroids
Früher Sängerknabe, heute zwischen Fußball, Football und viel Musik. Im Herzen immer Punker.