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JOY CROOKES – SKIN

© Insanity Records

Amy Winehouse ist vor zehn Jahren verstoben – ihr geliebter britischer Soul lebt aber weiterhin. Mit Joy Crookes tritt jetzt eine junge Sängerin das Erbe von Amy Winehouse an. Warum sie diesem Ruf gerecht wird und das neue Gesicht des British Soul ist – jetzt dazu mehr.

BACKGROUND

Joy Crookes wurde im Oktober 1998 in Südlondon geboren. Ihre Mutter stammt aus Bangladesch, ihr Vater aus Irland. Von beiden Kulturen beeinflusst, begann sie sich als Teenager sowohl das Gitarren-, Bass- und Klavierspiel selbst beizubringen, ehe sie mit 14 Jahren und einem Cover von Ray Charles‘ „Hit The Road Jack“ auf YouTube viral ging. Ihr jetziger Manager wurde durch das Video auf sie aufmerksam. Seit 2017 veröffentlichte Joy drei EPs, jetzt folgte das erste Album Skin. 2020 wurde sie für den Rising Star-Award bei den BRITs nominiert, und auf Platz vier der prestigeträchtigen BBC Sound of…Liste gewählt.

PRODUCTION

Skin verschreibt sich dem Soul und Jazz, mit Elementen von RnB, Pop und Neo-Soul. Das Aufzählen von verschieden Genres ist nicht unbedingt beliebt (zumindest bei jenen, die sich darunter nichts vorstellen können), gehört aber leider dazu, um ein Gespür für die Platte geben zu können. Balladen treffen auf Orchester, Pop-Elemente auf die Verletzlichkeit und Ruhe des Soul. Produziert wurde Skin hauptsächlich von Blue May, einem jungen britischen Produzenten, den sich Joy extra dafür ausgesucht und per Privatnachricht auf Instagram angefragt hat. Zusammen konnten sie die richtige Stimmung für ihren Sound kreieren und einen einheitlich guten als auch interessanten Mix bieten.

LYRICS

Wie für das Genre üblich, gibt Joy in ihren Lyrics sehr viel Persönliches von sich preis. Liebe und Trennung spielen natürlich eine große Rolle, das Aufwachsen im multikulturellen London ebenso. Joy Crookes belässt es aber nicht bei diesen persönlichen Themen, sondern wird auch politisch. Der Lage ihres Heimatlandes nach dem Brexit wird genügend Raum gegeben, auch Protestbewegungen wie Black Lives Matter thematisiert sie. So entsteht auch inhaltlich ein äußerst ansprechendes Album.

Sie startet Skin aber mit einer Konfession an einen Ex-Freund bzw. einen Liebhaber. I Don’t Mind erklärt warum es in Ordnung ist, als Frau auch nur Spaß für eine Nacht zu suchen und sie selbst über ihren Körper bestimmen kann.

You wanted my body, not my mind
Now you’re reaching your hand to my face
Knowing that I’m just a phase
You need to learn to separate the time
I am not your lover, I’m just for Friday nights
I don’t mind if you don’t mind
No, I don’t mind if you don’t mind
But if you should see a future
Where I’m with you
You’ve got to go

Selbst- und Fremdbestimmung spricht Joy öfter an. Im textlich sehr bedrückenden Unlearn You verarbeitet sie ihre Erfahrungen mit Missbrauch. Eindrücklich beschreibt sie den Wunsch, dass ihr Körper die Angriffe vergessen möge.

Ooh-ooh, and I’m back in black again
I know it’s a touch I can’t forget
Words that burn me like a cigarette
Can I cross you out and unlearn you
From my body?

In Power (2021) wendet sie sich direkt an das männliche Geschlecht und deren Machtmissbrauch. Gleichberechtigung mit Joy:

We’re your bitches, we’re your hoes
We the people, and we know
All we want is to be accepted
But you don’t
You got ideas, all the same
I’m your scapegoat, feed me blame
In the back of your mind
You know you’re wasting time
And you’re crossing lines with your
Power
Come and spend it on me
Power
What it means to be free

Auch wenn sie selbst nicht von Depressionen betroffen war, schreibt sie in Skin an einen Freund, der mit mentalen Gesundheitsproblemen zu kämpfen hat. Sie gibt einen kraftvollen Lebensappell:

What if you decide that you don’t wanna wake up, too?
I don’t know what I’d do
‘Cause I’ve built my life around you
Don’t you know the skin that you’re given was made to be lived in?
You’ve got a lifeYou’ve got a life worth living

Zwischenmenschliche Beziehungen, insbesondere jene mit ihrer Familie, verarbeitet Joy ebenfalls auf ihrem Debütalbum. In Trouble erklärt sie, dass die Probleme ihrer Familie auch ihre Probleme sind. So sehr man sich auch streitet – ein Klischee, dem sie sich bewusst ist.

You’re all that I need (Need)
But we break every time (Every time)
Birds of feather fly together
Your trouble’s the same as mine (Mine)

Die Dankbarkeit, als Musikerin arbeiten und leben zu können, verarbeitet sie in 19th floor. Ein Lied über ihre Großeltern und Eltern, die ihr den Weg eines guten Lebens ermöglichten.

I was raised by the river, nineteenth floor
We never got this high before
We were lost so long, look how far we’ve come
Down by the river, I remember where I belong
Ooh, I remember where I belong

Joy Crookes ist zudem nicht leise, Kritik an gesellschaftspolitischen Themen zu leisten. Sowohl als Privatperson auf ihren Social Media-Accounts als auch als Musikerin auf Skin wird sich nicht müde zu betonen, dass für Ungerechtigkeiten kein Platz ist. Ihre Texte sind dabei nicht frei von Ironie und dunklem Humor:

I’ve been posing with red skies
Retweeting picket signs
Put my name on petitions, but I won’t change my mindI’m keeping up appearances
The dark side of my privilege
Damn, thank God I’ve got my vice
The dopamine tuition will keep me wrong from right
But I don’t like when my better side takes hold of me
I didn’t want you to know

Den Wunsch standhaft zu bleiben, adressiert sie schließlich im Refrain von Feed Don’t Fail Me Now:

Man, I guess I was scared
Feet, don’t fail me now
I got to stand my ground
And though I’m down for trying
I am better in denial

Mit der politischen Lage in Großbritannien – vor allem mit dem Brexit – ist sie äußerst unzufrieden. Sie geht davon aus, bald vertrieben zu werden.

Rolling up to vote, I toke my Benson
England’s blowing smoke, it needs attention
Could use a lick of paint, a change of colour
Before they send us back across the water
Think I got a neighbour that’s been feeling blue
But they won’t stand down no matter what you say or do

Who’s got love for the taking?
Who’s got heart for the aching?
No such thing as a Kingdom
When tomorrow’s done for the children
They chop it up and divide
So meet me at the borderline
Where the burning bridges have been taking toll
We row, we row, we row the boat
We row, we row, we row the boat

Wie gesagt – ganz schön viel Stoff für ein Soul-Album

REVIEW

13 Songs, 43 Minuten – Joy Crookes erfüllt die Standardlänge eines Musikalbums perfekt. Der Opener I Don’t Mind hat im Vergleich zum Rest des Albums verhältnismäßig viele elektronische Stilmittel zu bieten – ein elektrisches Schlagzeug – als auch Keyboard und Streicher. Inhaltlich eine Ansage an den One Night-Stand, der nicht auf die Idee kommen soll, dass sich mehr aus dieser kurzen Bekanntschaft entwickeln würde. Ein Vorgeschmack ihres musikalischen Könnens, obwohl sie auf große und mächtige Gesangsteile verzichtet. Hörer:innen kommen aber erstmals in Berührung mit ihrer satten Stimme, die vor allem in den mittleren Regionen ihr volles Potential ausschöpfen kann.

Das hört man dann schon in 19th Floor, einem weiteren, von Streichern getragenen und von einem Beat untermalten dramatischen Soul-Werk. Joy hat eine kleine gesangliche Unsicherheit, die überraschenderweise nicht kaschiert wurde – vermutlich um der Geschichte, die sie erzählt noch eine ehrlichere, dramatischere Stimmung zu geben.

Dem Klavier und der Percussion von Poison kann man sich nur schwer entziehen. Umso bitterer, dass der Track im Herzstück komplett abfällt. Der Refrain besteht aus Ba-da-da-da-da-dum-Anreihungen, die dem Lied einfach nicht gerecht werden. Hier wurde enormes Potential vergeudet.

Zur ersten richtigen Auflockerung nach den schweren Soul-Stücken kommt es durch Trouble, das es mit seinem Rhythmus unmöglich macht, sich nicht bewegen zu wollen. Mit solchen Songs kann Joy den Sprung in den Mainstream schaffen – wenn sie möchte. Brass-Elemente finden sich hier ebenso wie futuristisches Kleinwerk an den Grenzen den Frequenzen. Diesen Drive nimmt sie zu When You Were Mine mit. Hier bestechen die Bläser, das Klavier und der Bass, aber selbst die dezente Gitarre erfüllt ihren Zweck. Joy klingt wie Amy Winehouse und singt über einen Ex-Freund, der nach ihrer gemeinsamen Beziehung die Liebe zu einem anderen Mann „entdeckt“ hat. Wer Joy Crookes noch nicht gehört hat, wird hier das beste Gespür für ihre Musik bekommen.

Die innige Beziehung, die sie zu ihrer Mutter pflegt, kann man im Intro von To Lose Someone hören – zumindest, wenn man auch ein wenig Bangla spricht. Das Lied bricht wieder mit dem zuvor dargebotenen Wohlfühlsound. Es ist Zeit für eine Ballade, die alles hat, was man braucht: Klavier, ruhige Percussion, ein Keyboard und eine sich die Seele aus dem Leib singende Joy Crookes, die immer wieder wiederholt, dass zu lieben auch verlieren bedeuten kann. Unlearn You zeigt ihre Verletzlichkeit. Klavier und Cello machen die Hauptarbeit in ihrer Bewältigung mit Missbrauch. Keine Silbe, kein Ton ist hier unpassend, eine fantastische Ballade über ein – logischerweise – extrem unangenehmes Thema, wie sie selbst sagen sollte.

Die Stimmung wird durch Kingdom wieder aufgelockert, dessen Text in starken Kontrast zu den unglaublich ansteckenden Beats steht. Wie schon im Lyric-Teil ausgeführt, wird Joy hier hochpolitisch, singt sich dabei aber mit Leichtigkeit durch die verschiedenen Ebenen der Garstigkeit. Claps im Hintergrund geben dem Song eine einnehmende Tiefe. Der Bass wird dann in Feed Don’t Fail Me Now zum Star ehe das Klavier mit ein paar dezenten Akkorden seinen Dienst leistet. Der Song kann einen beachtlichen Stimmungswechsel zum Refrain vorweisen, der vor allem den Streichern zu verdanken ist. Die Botschaft standhaft zu bleiben wird durch den dramatischen Refrain unterstrichen, während der ironische Teil der Strophe durch die Bass-Line umgesetzt wird.

Gitarren und ein wenig mehr Pop warten in Wild Jasmine auf uns. Joys Sound braucht nicht viel oder große Arrangements, um zu funktionieren. Sie probiert sich aus, wählt hier gesprochene Stilmittel, um neue Wege einschlagen zu können. Eine der größten Balladen bildet das titelgebende Skin. Hier darf Joy neben dem Klavier glänzen und die Arbeit übernehmen, bis die Streicher ihr zur Seite stehen. Für Joy stellt das Lied das wichtigste des Albums dar, was anhand des Textes auch nicht verwundert. Sie meint ernst was sie singt, was man auch an den kleinen Brüchen in ihrer Stimme hören und erkennen kann. Den Ansatz, diese stimmlichen Unebenheiten nicht kaschieren zu wollen, kann man hier durchaus unterstützen.

Power (2021) vereint die ruhigen Facetten des Klaviers mit den futuristischen Elementen ihres Sounds. Hier wird sehr viel Wichtiges und Richtiges angesprochen, Chöre im Hintergrund machen aus einer flachen, eine Tiefe Nummer. Mit 4:42 Minuten der längste Track von Skin und an der Grenze zur Überlänge.

Den Abschluss bildet Theek Ache und leider sind diese 2:10 Minuten ein ziemlicher Reinfall. Joy beginnt zwar noch gewoht stark, ab 50 Sekunden wird es aber sehr schräg. Hier scheint was nicht zu passen, die Intonation ist deutlich daneben. Gerade noch im Rahmen des aushaltbaren. Leider kein würdiger Abschluss eines sonst sehr guten Debüts.

Joy Crookes unterscheidet sich schon auf Grund ihrer politischen Texte deutlich von anderen Künstlerinnen des Genres. Sie bringt alles mit, um es ach ganz oben schaffen zu können: Die Stimme, den Sound, die Aussage. Skin ist keine perfekte Platte, überzeugt aber bis auf ganz wenige Ausnahmen fast durchgängig. Man wird die weitere Karriere ganz genau beobachten müssen.

4/5 Pandroids

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