© CHAPTER ONE/WALK THIS WAY
Genre: Rap
Er hat sich ein bisschen Zeit gelassen, aber jetzt ist das vierte Studioalbum des Essener Rappers 3Plusss erschienen: Weine jetzt, lache später. Dabei kann er seine Kunst auf eine neue Ebene heben.
BACKGROUND
3Plusss große öffentliche Karriere startete 2011 als Battlerapper im Rahmen des Videobattleturniers, bei dem er bis ins Halbfinale vorstoßen konnte. Ein erstes Album folgte 2012 mit der Kindskopf LP die vor allem durch typische Anfangs-Zwanziger Lyrics auffiel. Im Zweijahresrhythmus veröffentlichte er 2014 das Album Mehr und 2016 Gottkomplex, die den Fokus immer mehr Richtung Conscious Rap legten. 2020 folgte die EP NSFW, jetzt, sechs Jahre nach Release seiner letzten Langspielplatte, das Album Weine jetzt, lache später. In zehn Tracks und auf 34 Minuten nimmt er sich persönlichen als auch gesellschaftskritischen Themen an.
Und auch wenn nicht ständig neue Musik kam, ist 3Plusss einer der lautesten Rapper, wenn es um gesellschaftsrelevante Themen geht. Dabei nimmt er sich kein Blatt vor den Mund, kritisiert Corona-Leugner oder machte sich in der aufkommenden #Deutschrap-Metoo-Bewegung für die Opfer und notwendiges Umdenken in der Rapbranche stark. Ein Rapper mit Ecken und Kanten, der dabei auch hart mit sich selbst ins Gericht geht und seine eigene Vergangenheit reflektiert und aufarbeiten möchte. Wenig überraschend nimmt die Gesellschaft, vor allem unser kapitalistisches Zusammenleben, einen großen Teil seines neuen Albums Weine jetzt, lache später ein.
REVIEW
Peet aka Peter Winkler produzierte zusammen mit 3Plusss dieses neue Werk, das mit Phase II startet. Ein Track, hart von Sekunde eins mit hungrigem 3Plusss, der ohne große Wartezeiten sofort seinen Flow findet. Der Beat fällt mit hartem Bass auf, hat aber sonst auch noch genügend Facetten, die ihn zu einem echten Ohrenschmaus machen. Die ersten paar Zeilen zeigt er sich als altbekannter Battlerapper (der wie Sammy Deluxe klingt), ehe er rasch zum ersten Mal einen Wink Richtung Branche und Gesellschaft setzt:
Und du musst diesen Song hier jetzt tausendmal streamen, damit ich brutto um die 4 Euro verdien’ (Ka-ching)
Nein, das ist kein schlechter Job (he) – das ist ein teures Hobby
Ich will gecancelt werden, aus Karrieregründen, sitz’ dann in jeder Sendung rum und rede Dünnschiss
Seit diesen Lines wird 3Plusss übrigens wirklich nicht mehr in die großen Spotify-Playlists gepackt, was eigentlich auch schon wieder alles über diesen Konzern erzählt. Er rappt sich warm und wird in seiner Sprache und seinen Botschaften noch deutlicher und härter.
Ihr wollt was Kontroverses?
Es gab nie Entnazifizierung
Das Patriarchat kann mir ein’ lutschen, Dieter Nuhr ist eine Missgeburt
Ich will Gauland im Gulag und Julian Reichelt an der Hundeleine, das ist Kunstfreiheit
Und wo wir schon dabei sind: Ich wünsch’ der Polizei eine Lohnarbeit, zum Beispiel beim Müll
Er schließt den ersten Part noch einmal mit Spotify und nimmt sich der oberflächen Instagram-Gesellschaft an:
Nur weil du diesen Song hier nicht tausendmal streamst, war mein Ertrag noch nie was anderes als Lorbeeren
Es ist trocken, trist und trüb, oh mein Gott, wie deinspirierend
Aber keinen juckt’s, außer du bist schön oder stirbst, nur ich sterbe zu langsam, damit’s wen interessiert
Dann – Hook. Und ein leichter Stimmungswechsel, sowohl in Beat als auch Text. Alle sagen, dass es nur ‘ne Phase sei / Mag schon sein / Doch wann kommt Phase II? Wirkt vielleicht bei erstmaligem Hören ein bisschen fehl am Platz, entwickelt sich aber genau in die gewünschte Richtung. Phasen aus Strophe zwei zu zitieren ist unmöglich, ohne sie nicht komplett vorzulesen. 3Plusss schenkt deutschem Rap, der Politik, dem Rechtsextremismus samt Blindheit der Polizei ordentlich ein und bewegt sich teilweise selbst am Rande der politischen Correctness, wenn er sagt: Für jeden bewaffneten Nazi braucht es auch einen bewaffneten Antifaschisten.
Er schließt dieses absolute Brett mit einem Verweis auf geheuchelten Feminismus und erklärt seine Feindbilder.
“Feminist” steht in euren Bios, aber eure Ex-Freundinnen wissen’s besser
Ich hab ein klares Feindbild außer AfD und Frei.Wild
Und das ist jedes dumme Arschloch, das irgendwas für sich allein will
Und damit mein’ ich dich, du Arschloch
Phase II sollte jedem Rapfan ein breites Grinsen ins Gesicht zaubern. Der Opener kann auf voller Länge überzeugen, hat keine Schwäche, sondern ist von vorne bis hinten konstant gut, rasant und lyrisch wertvoll vorgetragen.
DINGE
Im Gegensatz zu Phase II geht es Dinge sehr viel gemütlicher an. Der Beat hält sich bedeckt im Hintergrund, 3Plusss will das Scheinwerfer-Licht, was man auch nachvollziehen kann. Er spricht über Depression und versucht ein Stigma zu brechen, indem er klar machen möchte, dass es sich dabei um eine Krankheit und keine charakterlichen Eigenschaften handelt.
Das sind nur Dinge, die wir tun
Das bist nicht du, das bin nicht ich
Manche nenn’n es Depression, schlicht Definition’n
Und Symptome und Begriffe für die Dinge, die wir tun
3Plusss singt mehr, stellt die richtigen Fragen (sofern es welche gibt) und fällt mit salopper und dennoch nachdenklicher Intonation auf. Stimmverzerrer unterstützen ihn in seinem Vorhaben, den inneren Konflikt auszudrücken. Dabei entstehen sehr spannende Phasen und Harmonien, die man von 3Plusss nicht unbedingt erwartet hätte.
Und jetzt sieh in diese Augen
Die immer noch und immer wieder an dich glauben
Glaubst du, die irr’n sich?
Glaubst du das wirklich?
Ein Song, der Mut macht und Vertrauen schaffen soll.
WAS IST DAS PT. I
Von den gediegenen Tönen verabschiedet sich 3Plusss rasch, mit Was ist das Pt. I legt er seinen Fokus wieder vermehrt auf die Battleschiene. Wir lernen sehr viel über das Leben von 3Plusss, vor allem über sein Aufwachsen in Essen und den Weg, den er bzw. seine damaligen Freunde eingeschlagen haben. Dabei ist er sich der Fragilität seiner Karriere – vielleicht aber auch seiner Psyche – bewusst:
Die Jungs von damals sind heut noch auf der Straße oder im Bau
Oder beim Straßenbau, einer tot, einer hat HIV
Ich leb, bin gesund, hab ‘nen Traum, ja genau, bald wach ich auf und reih mich ein
Oh mein Gott, bald wach ich auf und reih mich ein
Außerdem kommt es zu einem kleinen Mein Block-Moment, wenn 3Plusss über seine Nachbaren spricht:
Der Nazi, der unter mir wohnt, war 10 Jahre für Totschlag im Knast
Er sagt der K***** hat angefangen, so als hätt er’s aus Notwehr gemacht, der Hurensohn
Der Typ der links gegenüber wohnt sticht seine schwangere Freundin ab (oh mein Gott)
Ich hab sogar Schreie gehört, aber nicht mehr als an jedem anderen Tag (oh mein Gott)
Es fuckt so ab, und es macht so hart, Mann, ich hab 20 Jahre lang im Ghetto gewohnt
Und mir war nicht klar, dass das Straße war und wie arm wir waren, ich war nur Ghetto gewohnt
Seine Stimme wird dabei immer kräftiger und aggressiver und rappt sich in eine Art Rage, die – obwohl komplett im Gegensatz zum ruhigen Beat stehend – wunderbar auf diesen passt. Was ist das Pt. I lässt 3Plusss glänzen und sein ganzes Potpourri an Fähigkeiten ausgraben. Auch wenn nur 2:42 Minuten lang, wird hier kein Kopf ruhig bleiben können. Kompletter Banger den er mit einer Aufforderung an alle Wohlstandsrapper schließt:
Du kommst aus irgendeinem Dorf und Papa blecht für die Kunst?
Du hast keinen Stress mit den Jungs, ihr lauft nur hektisch zum
Bus, uh
Und für die Tattoos kein Grund und für das Blech in dei’m Mund, so als kämst du von unten
Hab mal ein bisschen Respekt vor der Kunst, rappt doch irgendwas von euch
Nein, ihr rappt nur von uns
NUMMER LEIDER
Harter Bass, bisschen Trap für Nummer Leider. 3Plusss rappt über die verlogene Rap-Szene, die öffentlich nicht sonderlich viel über ihn zu sagen hat, dafür aber gut und gerne hintenrum um ein Feature bettelt. Er selbst hätte gerne mit der Rapperin LIZ aufgenommen, die ihm aber mit einem höflichen Nein abgesagt hat. Keine Zeit für Eitelkeit, betont er, und kommt zum Schluss, dass man einen teuren Fake des Deutschraps bekommt, wenn man ebendiesen auf Wish bestellt. Die Hook geht mächtig ins Ohr, auf der er erklärt, dass er für keinen Rapper erreichbar ist. Wer was von ihm will, muss wirklich zu ihm kommen und nicht auf diversen Social Media-Plattformen anklopfen.
Auf Nummer Leider bleibt 3Pluss sich selbst und seinem Image als Battlerapper und Aufrüttler der Szene treu. Sein Flow und seine Delivery funktionieren von Sekunde null an und er kann hier auch beweisen, wie wandelfähig er in seinem musikalischen Schaffen ist.
SZN
Nur ganz kurz wähnen wir uns auf einem Oldschool-Trip, wenn das Intro zu SZN beginnt und wir glauben, Primo sitzt hinter den Turntables. Der Beatswitch erfolgt rasch, 3Plusss lässt sich mehr Zeit in seinem Vortrag und fällt wieder einmal mit seiner lässigen Art Punchlines aus dem Ärmel zu schütteln auf. Er probiert sich in der Hook an unterschiedlichen Intonationen aus, schafft es dadurch auch, seinen Rap spannend zu gestalten. SZN ist sowohl Track der Vergangenheit als auch Bild der Gegenwart und 3Plusss‘ Betonung, dass er ganz oben zu finden ist. Er nimmt sich außerdem diversen Verschwörungstheorien an und wird ziemlich klar in seiner Einstellung ihnen gegenüber.
LIVE AUS DEM LOCH
Jetzt aber wirklich laid-back Oldschool-Beat. Und dabei rappt er über Aggros und Depris, über den ewigen Kreislauf seiner Psyche. Live aus dem Loch stellt einen der persönlichsten Tracks des Albums dar, 3Plusss teilt extrem viel seines inneren Lebens mit und schafft es, seine Diskrepanz zwischen seinem Gottkomplex und Hochstaplersyndrom eindrucksvoll zu schildern. Dabei vergisst er auch nicht, sich die deutsche Rapszene ein nächstes Mal vorzunehmen und diverse Trends zu zerlegen:
Du stirbst als Held oder wirst zum Meme
Wenn nicht mit Rap, dann drei Mal die Woche auf Twitch im Stream
Keep it real
Und zwischendrin hat er zudem immer noch Platz für ironische Selbstreflexion:
Noch nehm ich die letzte S6, bald den neuen S6
Von Essen nach Essex, da ist nix, aber wen juckt‘s, mich nicht
Ich bin schlau und will Knete wie ein Blöder
Noch nicht reich, doch es reicht für jeden Tag nen Döner
Wenn er sich in eine Trance rappt, gibt es wenige deutsche Rapper, denen man lieber zuhört, als 3Plusss – davon kann man sich bei Live aus dem Loch wieder überzeugen.
DANKE
3Plusss bleibt dem Realrap treu und teilt auf Danke weitere tiefgehende Gedanken und Facetten seines Lebens. Er wendet sich dafür auch wieder der gesungenen Hook hin, lässt in den Strophen später dann das Reimemonster frei. Die Depression wird seziert und beschrieben, der Umgang des Umfelds von 3Plusss samt diversen Ratschlägen zitiert:
Mein Vater sagt: „Das ist nur Selbstmitleid“
Mein bester Freund sagt: „Du verschwendest Zeit“
Mein Manager meint: „Du lässt dich hängen, Mann, häng dich rein!“
Und das alles wegen Männlichkeit
Meine Mutter sagt: „Du weißt gar nicht, was Traurigkeit ist“
Meine Freundin sagt: „Fick mich, als wärst du sauer auf mich“
Die Therapeutin sagt nix, rollt nur mit den Augen und nickt
Ich glaub’, ich werd’ verrückt und darum sag’ ich
Es geht danke, gut
Bisschen Angst und Wut
Bisschen Schlafentzug
Sonst danke, gut
Die Hook fließt fast zu einem Genuschel, was wohl den erlebten Stress und die vielen Grübeleinen bzw. den Umgang mit den einprasselnden Ratschlägen symbolisieren soll. Dieser Track lebt von seiner Entwicklung, hat rastlose als auch sehr rastende Phasen zu bieten und ist Spiegelbild der Höhen und Tiefen einer depressiven Krankheit. Euphorie im Beat und Verzweiflung im Text – wie man in Strophe zwei hören kann. Die Autotune-Parts der Hook stehen der cleanen Gesangsstrophen des Intros und Outros gegenüber. Schwarz, weiß quasi – die Höhen und Tiefen. Und in der Mitte ist alles grau.
NA DANN
Ein Feature findet sich dann doch noch auf weine jetzt, lache später: Tua schaut bei Na Dann vorbei und kümmert sich um die Hook. Man könnte – wenn man die Texte von 3Plusss nur oberflächlich betrachtet – langsam von einem depressiven Album sprechen. Allerdings sorgt das Thema Depression nicht automatisch für schlechte Stimmung oder Negativität. Der Umgang und die Umsetzung von 3Plusss mit der Krankheit und den gesellschaftlichen Vorurteilen ist beachtenswert, zumal er immer wieder auf die schnelllebige und falsche Instagram-Scheinwelt verweist.
Hie und da blitzt ein bisschen Kummer-Intonation durch, was diesem langen, aber sehr kurzweiligen Song nicht schlecht tut. Na Dann ist kein klassischer Raptrack, eher einer, den man im Jahr 2022 öfter hört – zumindest musikalisch. Inhaltlich haben sich wenige den Depressionen so ehrlich und schonungslos gestellt, wie es 3Plusss hier tut. Tua passt perfekt dazu, die Abstimmung zwischen den beiden passt hervorragend, da eine Ergänzung vorherrscht.
FÜR EIN LEBEN PT. II
3Plusss wählt einen untypischen Weg und setzt Was ist das Pt.I erst sechs Nummern später mit Für ein Leben Pt.II fort. Wuchteinbußen gibt es dennoch nicht. Wie schon der erste Teil überzeigt Part II auf voller Länge, hat keine Schwächen oder Längen, dafür aber mehr vom Besten. Gesellschaftskritik von vorne bis hinten mit ein paar persönlichen Hintergründen.
Uh uh, fickt euch alle! Und kack auf dieses Dreckssystem, das mich nur knechten will
Seit dem 16. bis zum 67., und mich selten dreist um Geld bescheißt, als ob ich nicht rechnen könnte
Keine Sekte, kein Geheimbund (ah), ihr seid einfach nur schlechte Menschen (easy)
Das braucht man sich nicht groß zurechtzudenken, letzten Endes wirst du reich oder stirbst an Krebs und einer schlechten Rente (Glückwunsch)
Ja, ja, ich hab mich radikalisiert
Reicht noch nicht ganz für Antifa, aber bald wird das passieren
Gib mir noch eine Mieterhöhung und ich enteigne den Vermieter
Gib mir noch ein bisschen Kampfsporttraining und die scheiß Glatze wird rasiert
3Plusss liefert Glanzleistung um Glanzleistung ab, man muss über diesen Track nicht mehr viel sagen, weil er selbst schon alles beantwortet. Einfach ein Brett.
Dass es nicht für immer so bleibt, auf dem Zettel steht „das ist nicht normal“, denn es ist nicht normal
Ich gewöhn mich sonst zu fix daran, verflixt nochmal
Es ist nicht normal, nein, es ist nicht normal
Doch dann passiert es und nochmal und dann ist’s normal
Was ist das für ein Leben?
ES GEHT VORAN
Der letzte Track von weine jetzt, lache später bringt uns am Ende wieder zum Anfang. Hervorragender Loop zum Eröffnungstrack. Zuvor erzählt uns 3Plusss noch einmal eine Geschichte. Es geht voran – auch wenn alles den Bach runter geht und jeder sein eigenes Paket an Scheiße auf dem Rücken tragen muss. Der Umgang damit bleibt jedem selbst überlassen und der kann wiederum in der Außensicht unterschiedlich aufgenommen werden. Ein würdiges Ende, das uns eben auch wieder nahtlos zum Beginn springen lässt und den großen Bogen des Teufelskreises der Depression schließt.
FAZIT
weine jetzt, lache später zählt zu den besten Deutschrap-Alben des Jahres und wird auch noch lange nachklingen. 3Plusss hat sich noch einmal steigern können und geht seinen eingeschlagenen Weg konsequent weiter. Er nimmt sich kein Blatt vor den Mund und auch sehr schwierigen und persönlichen Themen an. Dabei vergisst er auch nicht auf seine Wurzeln und vermischt Conscious- mit Battlerap. Ganz fein!
9,2/10
Früher Sängerknabe, heute zwischen Fußball, Football und viel Musik. Im Herzen immer Punker.