© Epic Records
Genre: Latin Pop
Latin-Pop befindet sich seit geraumer Zeit auf seinem Höhepunkt. Einen gewissen Anteil daran hatte auch Camila Cabello, die mit ihrem neuen Album Familia nach Jahren des musikalischen Herumirrens endlich heimisch werden möchte.
BACKGROUND
Camila Cabello zählt zu den größten Stars der Welt. Wer trotzdem noch nichts von ihr gehört hat – hier die Karriere im Schnelldurchlauf: Als Tochter eines mexikanischen Vaters und einer kubanischen Mutter, wurde sie 1997 in Havana geboren, ehe sie mit sechs Jahren und ihrer Mutter nach Miami, Florida zog. Musikalisch startete sie 2012 durch, als sie sich als Solo-Künstlerin in der US-amerikanischen Show X Factor bewarb und schlussendlich in eine Gruppe mit vier anderen jungen Frauen gesteckt und zur Girlgroup Fifth Harmony fusioniert wurde. Das ging ein paar Jahre sehr gut, bis Camila 2016 keinen richtigen Bock mehr auf Harmonie hatte und die Gruppe verließ. Über die genauen Hintergründe ihres Ausstiegs gibt es bis heute diverse Theorien, die Veröffentlichung ihres Duetts mit ihrem späteren Lebenspartner Shawn Mendes I Know What You Did Last Summer hat der Gruppen-Harmonie aber nicht unbedingt gutgetan.
Camilas Karriere aber schon. Was macht man, wenn man erstmals in der Karriere selbst über die eigene Musik bestimmen darf? Richtig, man macht ein Feature mit dem größten Künstler unserer Zeit, namentlich Machine Gun Kelly, und chartet auf Platz 4. Mit Havana wurde sie dann wirklich jedem Menschen mit einem Radiogerät ein Begriff und dominierte mit diesem Latin-Pop-Klassiker die Charts des Sommers 2017. Sehr viele Singles sollten folgen, mit dem unter anderem von Charli XCX geschriebenen Duett – diesmal wieder mit Shawn Mendes – Senorita, konnte sie den Erfolg von Havana wiederholen. Außerdem kamen noch zwei Alben auf den Markt: Camila (2018) und Romance (2019), die vor allem durch ziemlich uninspirierten aber eh soliden Pop auffielen.
Mit Familia soll alles anders werden. Eine Platte, die als Rückkehr zum Ursprung angekündigt wurde und Camilas Wachstum darstellen sollte.
REVIEW
Wenn man sich Familia anhört, dürfte recht rasch auffallen, dass Camila auf den gediegenen Lalala-ohohoh-eyeyeyeye-bam-bam-bam-bam-Refrain steht. Von zwölf präsentierten Nummern weisen nicht weniger als sechs Phasen eines solch fein-einfachen Mittels auf. Aber man muss die Welt ja nicht immer neu erfinden, um zum Erfolg zu kommen.
Familia ist ein Mix aus verschiedenen Welten, aus lateinamerikanischen und amerikanisch-, westlichen Einflüssen. Dementsprechend singt Camila mal auf spanisch, mal auf englisch. Macht nichts, stört nicht und im Refrain kommen ohnehin Silben vor, die in jeder Sprache funktionieren.
Zunächst zum Guten: Vieles von Familia funktioniert überraschend gut. Celia beispielsweise, ein entspannender Song mit Beat und Gitarre direkt aus Kuba, den Camila der großen Salsa-Sängerin Celia Cruz widmet. Unterstützt wird sie von ihrer achtjährigen Cousine, die sich auch einmal im La-la-la-la-la-la-Chor versuchen darf. Das Lied wird vom instrumental aufgewertet, die Bläser bringen noch eine zusätzliche Ebene hinein, die einen auf Kuba wähnen lassen.
Über Psychofreak haben wir in ABGEHÖRT schon gesprochen: Für die größte Überraschung sorgte Camila Cabello zusammen mit Willow, die auf Psychofreaks zum einen ihre Zeit bei Fifth Harmonie Revue passieren lässt und zum anderen das übliche Emo-Leid beklagen darf. Dabei können beide Sängerinnen ihre Stärken in den Vordergrund stellen und für eine erfrischend untypische, aber gelungene Kollaboration sorgen. Latin-Pop mit ein bisschen düsterem Emo-Weltschmerz. Erzählt es bitte nicht Travis Barker, sonst wird Machine Gun Kelly darauf angesetzt. Bleibt auch jetzt noch so, ein Track der zwar ziemlich simpel aufgebaut ist, dafür aber auch mit ordentlicher Percussion punkten kann. Inhaltlich sicherlich der offenbarenste Text von Camila, die sich manchmal wie ein Freak fühlt und teilweise hart mit ihrem Selbstbewusstsein zu kämpfen hat.
Der funky Bass darf auch nicht fehlen und so wird Hasta Los Dientes zur kleinen kubanischen Disko-Tanzfläche, auf der wir uns gerne ein bisschen ausbreiten. Ja, das ist wieder nichts neues und wird deshalb auch keine Innovationspreise abstauben können, dafür schafft es Camila, dass wir bei diesem Lalalala-Chor nicht nur mitsingen, sondern auch das ein oder andere Körperteil dazu bewegen werden.
Die Leadsingle dieses Albums erschien schon im Juli des vergangenen Jahres und hört auf den Titel Don’t Go Yet. Mehr Latin-Pop wird man auf Familia nicht finden, hier klatscht es an allen Ecken und Enden, Reggaeton von vorne bis hinten samt Refrain, der auch den Elchtest einer Ballermann-Kneipe bestehen würde. Macht ihn natürlich auch eindimensional, aber hey – mitsingen, mitshaken, let’s go.
Und dann ist da noch Lola, der politischste und auch beste Song der Platte. Camila erzählt die Geschichte des kubanischen Mädchens Lola, die ihre Träume auf Grund der strengen politischen Regimes nicht verwirklichen kann. Camila holte sich dazu noch Unterstützung von Yotuel, einem kubanischen Sänger und Schauspieler. Vor allem in Strophe zwei kann die Produktion mit den vielen Stimmen punkten und durch Piano, Bläser und Perussion im Allgemeinen einen ganz starken und angenehm zu hörenden Song erschaffen. Camila war auf diesem Album Ariana Grande nie so nahe, wie sie es im zweiten Teil von Lola war.
Warum man das so explizit erwähnt? Weil es einige Nummern gibt, die wohl nur das Ziel verfolgen, im Windschatten Arianas ein bisschen von ihrem Erfolg abzustauben. Quiet und Boys Don’t Cry sind Paradebeispiele dafür. Sowohl von der Beatauswahl als auch dem Gesang wird hier an seichtere Momente von Thank U, Next erinnert. Camila geht an ihre stimmlichen Grenzen und gleichzeitig auch nicht – hat manchmal Harmonien, die nicht ganz passen, wie etwa im Refrain von Quiet der fast schon an die Spice Girls erinnert. Boys Don’t Cry hat Ariana Grande überall hingeschrieben, darf aber maximal als ganz, ganz, ganz kleine Schwester in einer Miniplayback-Show herhalten.
Gleich verwerflich, weil einfach unspannend, verhält es sich mit No Doubt, über den man auch nicht viele Worte verlieren muss. Alles schon gehört, wieder lokomotivartige Percussion und großes Pop-Drama im Refrain. La Buena Vida und der Closer everyone at this party fallen ebenfalls in die Kategorie ok, weißen auf ihre Art und Weise eine solide Leistung vor, die entweder durch das hohe Tempo bzw. die sehr reduzierte Gitarre ihre Stärken ausspielen können.
FAZIT
Latin-Pop für laue Abende ohne Anspruch auf größere Eskapaden. Camila hat auf Familia gute Ansätze, die sie – wenn sie sie fertig denkt – auch zu einer spannenden Künstlerin fern des herkömmlichen Pop-Sternchens machen können. Dafür muss sie sich aber auch von ihren Ausflügen in die seichten Gebiete der Ariana Grande-Kopie verabschieden. Dann wird das richtig gut. Jetzt war’s ziemlich solide.
6,1/10
Früher Sängerknabe, heute zwischen Fußball, Football und viel Musik. Im Herzen immer Punker.