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ARCTIC MONKEYS – THE CAR

© Domino Recording

Genre: Lounge, Indie

Die erste große Band des Internets ist zurück und klingt immer noch nicht so wie früher. Die Arctic Monkeys gehen auf The Car den zuletzt eingeschlagenen Weg konsequent weiter.

BACKGROUND

Viele Worte muss man über die vierköpfige Truppe um Sänger Alex Turner nicht mehr verlieren. In Teenager-Jahren dank Myspace zu neuen Göttern des Indie-Rocks geworden, konnten sich die Monkeys mit allen ihrer bisher veröffentlichten Alben – sechs an der Zahl – an die Spitze der britischen Charts setzen. 16 Jahre sind seit dem Klassiker Whatever People Say I Am, That’s What I’m Not vergangen, neun Jahre seit dem für viele besten Alben AM. Vor vier Jahren unterzog sich die Gruppe einer massiven Stiländerung und veröffentlichte mit Tranquility Base Hotel & Casino ein Album fern von den sonst typischen einfachen, aber hocheffizienten Gitarrenriffs und versuchte sich im Lounge Pop/Glam Rock im Stile von David Bowie. Natürlich waren nicht alle Fans ob der drastischen Entwicklung begeistert, die Band hat sich davon aber nicht beeindrucken lassen und mit The Car die eingeschlagene Richtung noch einmal bestätigt. Auf zehn Songs und 38 Minuten begegnet uns orchestraler Rock, Jazz, Funk und Lounge Pop.

Das Cover zum Album wurde von Drummer Matt Helder geschossen, der eine Optik seiner Leica M6 testen wollte. Alex Turner wurde vom Bild so dermaßen gefixt, dass er nicht anders konnte, als einen Song namens The Car zu schreiben und auch das Album so zu nennen.

REVIEW

Dieses Album fühlt sich wie ein Soundtrack zu einem Film an. Die Streicher, die in fast allen Tracks zum Einsatz kommen, das Piano, erzeugen eine große, füllende Atmosphäre, die das geistige Auge durch verschiedene Welten ziehen lässt. Turner selbst hat in einem Interview nicht ganz glücklich zugegeben, dass „das Album versucht wie ein Film zu sein, aber dann selbst merkt, dass es das nicht ist“.

Schon der Opener There’d Better Be A Mirrorball macht klar, dass sich die Arctic Monkeys mit Leichtigkeit für den nächsten Bondsong bewerben könnten. Massive Streicher, das erwähnte Piano im Zentrum, mit Jazz-Drums im Hintergrund – wie schon auf Tranqility Base Hotel & Casino. Turner besingt das Ende einer Beziehung, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Das Auto kommt als wiederkehrendes Motiv häufig in den Texten vor, hier fragt er seine Freundin: So do you wanna walk me to the car? Alex Turners Songwriting war von Beginn seiner Karriere schon außerordentlich stark, auf The Car führt er diese Talentprobe fort. There’d Better Be A Mirrorball ist ein großer Song, mit mächtigen Streichern und passenden Falsett-Passagen. Ja, so klingt ein Arctic Monkeys Banger im Jahr 2022.

Um das ganze Album auch mit dem nötigen Pfeffer starten zu lassen, kommt gleich bei I Ain’t Quite Where I Think I Am erstmals eine Prise Funk dazu. Chöre starten zusammen mit einer verspielten Gitarre, während Turner sich sicher ist, dass er gerade gar nicht da ist, wo er glaubt zu sein – zu wenig hält er vom beschriebenen Yacht-Ausflug an der französischen Rivera mit anderen, ihm völlig unangenehmen Bonzen. Isoliert und desillusioniert versucht er sich durchzukämpfen. Der Song spielt geschickt mit verschiedenen Ebenen, baut vor allem auf stimmliche Harmonien und dramatische Streicher, die in Nuancen an Sinatras My Way erinnern, wenn Turner The spare set of tingles’ll race up your spine / If I get it my way singt.

Düster, aber auch unheimlich spannend geht es bei Sculptures of Anything Goes weiter. Nur eine Gitarre und eine Drum-Machine starten den Track, Turner singt darüber. Ein Track, der sich entwickelt, akzentuiertes Piano mithereinnimmt und wieder auf fein ausbalancierte Streicher setzt. Hier kann man sich verlieren und wieder träumen. Die Monkeys gehen nur nach vorne, auch wenn textlich nicht ganz klar wird, was Turner hier besingt.

Um dem üblichen Schema treu zu bleiben, quietscht auf Jet Skis On The Moat, wieder eine Funkgitarre neben einem Klavier. Turner versucht sich wieder in höhere Lagen zu begeben und kreiert abermals einen sehr wärmenden und entspannten Refrain. Er spielt sich wieder mit verschiedenen Bildern – ein Jetski im Graben ist wirklich nichts Alltägliches – während er wieder über Beziehungen singt. Der kurze Instrumentalteil, der vom Piano getragen wird, macht den Song noch runder.

Ganz reduziert, fast nackt, erklingt Body Paint, gespickt mit vielen doppeldeutigen Lyrics aus der turnerschen Feder. Auch hier wird wieder im Falsett gesungen, aber auch eine echte Änderung zur Songmitte vollzogen – wenn die Streicher sich abgehackt geben und nur Turner das Bindeglied gibt. Auch hier wird wieder groß aufgetragen, sicherlich auch cineastisch in Nuancen, definitiv, aber musical-ähnlich. Und ein Gitarrensolo – ein elektrisches noch dazu – gibt’s auch wieder mal. Body Paint beschreibt Affären und Liebhaber, die immer auf dem Körper zu spüren und zu sehen sind.

Auf Akustik setzt The Car. Eine zerlegte Gitarre mit Klavier gibt den Rhythmus vor, der sich immer mehr steigert. Turner gibt sich viel Raum, seiner Band aber auch. Die Streicher übernehmen irgendwann den Song, nur unterbrochen von einem Gitarren-Solo. Ein wunderbarer Song.

Einen tiefen Einblick in das Bandleben der Arctic Monkeys bietet uns Turner in Big Ideas. Wir gehen zurück an den Start, zu den Tagen des Debütalbums und springen in der nächsten Zeile in die orchestrale Gegenwart. Turner kann sich nicht mehr wirklich erinnern, wie es war, die Band als klassische Indie-Rockgruppe geführt zu haben. Der Track passt mit seinem Instrumental hervorragend in jede mögliche neue Downton-Abbey-Staffel, sofern man das verzerrte Gitarren-Solo weglässt. Das Arrangement trifft jedenfalls wieder ins Schwarze.

Das kann man auch von Hello You sagen. Schon zu Zeiten von Tranquilty Base Hotel + Casino entstanden, wurde die Skizze erst jetzt fertig gestellt. Ein schöner Mix aus verträumten Streichern und Percussion samt elektrischen Gitarrenakzenten definiert den Track, auf dem sich Turner noch ein letztes Mal entschuldigt, dass die Arctic Monkeys nicht mehr so klingen, wie sie es einmal taten.

Fingerpicking von Alex Turner mit ganz einfacher, aber richtig gelungener Intonation eröffnen Mr. Schwartz. Auch hier können wir wieder Zeuge einer Entwicklung werden, wenn die Percussion sich mehr und mehr holt, was ihr zusteht und das Klavier zum Unterstützer von Turner mutiert. Aja, die Streicher, sie kommen auch wieder.

Mit Perfect Sense endet das Album – vielleicht auch ein wenig zu abrupt, weil der Song mit 2:48 Minuten auch am kürzesten ausfällt. Hier geht’s ziemlich direkt nach vorne, mit einem Hauch von tieferen Streichern, die den Sound noch feiner machen.

Ein von vorne bis hinten durchdachtes und gut ausbalanciertes Album. Auch wenn die Lyrics von Turner noch eindeutiger sein könnten, dürfte The Car tatsächlich das beste Album der Arctic Monkeys darstellen. Und sicher, manchmal wünscht man sich die alten, dreckigen Riffs zurück. Aber die neue Richtung steht ihnen auch verdammt gut.

9,2/10