© Dirty-Hit
Song Contest-Vibes, Pop der 2000er und Nu Metal – Rina Sawayama zeigt sich auf ihrem Debüt-Album facettenreich.
Erst kürzlich haben wir in der Review zu bebadoobees Debüt Fake It Flowers von der mögliche Renaissance des Grunges berichtet. Die japanisch-britische Sängerin Rina Sawayama hält auf ihrer Debüt-Platte Sawayama ebenfalls wenig von Genre-Grenzen und lässt mit verschiedenen Soundrichtungen aufhorchen.
Song Contest mit Evanescence
Sawayama ist keine normale Pop-Platte und Rina Sawayama auch keine beliebige Künstlerin. In Japan geboren und in London aufgewachsen, vermischt Sawayama verschiedene Einflüsse in ihrer Musik, die weniger mit ihrer Herkunft, sondern ihren musikalischen Vorbildern zu tun haben: Lady Gaga, Christina Aguilera aber auch die Nu Metal-Größen Korn oder Limp Bizkit lassen sich auf ihrem Debüt finden.
Das kann sich mitunter durchaus schräg anhören, wenn etwa im Opener Dynasty zu einer vermeintlich ruhigen Ballade angesetzt wird und sich der Song wenig später aber zu einer Evanescence-Nummer entwickelt. Es gibt Jahre, da hätte so ein Beitrag Chancen den Eurovision Song Contest zu gewinnen. Das soll nicht despektierlich klingen, sondern viel mehr die Vielfalt Sawayamas unterstreichen.
Sawayama hat noch mehr zu bieten: Als studierte Politikwissenschaftlerin kommt auch Gesellschaftskritik nicht zu kurz. XS etwa, eine Ode an die heuchlerische Konsum-Gesellschaft die uns alle – auch die Sängerin – einschließt. Im folgenden STFU! gibt’s was zum Headbangen, eine schönes Metal-Riff mit einem umso melodischeren Refrain, der ein fast schon niedliches Shut The Fuck Up! als Thema inne hat.
Premium Pop
Dass Sawayama auch anders kann, beweist sie im Laufe des Albums immer wieder: Selten wurde Toxic masculinity so funky, poppig und in glitzerndem Disko-Licht besungen wie in Comme des Garçons (Like the Boys). Paradisin’ könnte auch von Charli XCX geschrieben worden sein, ein Song über die eigene Kindheit, verpackt in einem stark von den Arcadehallen Shibuyas angehauchtem Sound. Verspielt, schrill, melodisch – von Level zu Level eingängig.
Es gibt also durchaus biografische und selbstreferentielle Momente auf Sawayama. Wenig überraschend dreht sich Love Me 4 Me über die Liebe zu sich selbst: If you can’t love yourself, How are you going to love somebody else?
Probleme zwischenmenschlicher Beziehungen im Erwachsenenalter besingt Rina in Bad Friend. Wege kreuzen sich seltener und trotz eigentlich intakter Freundschaft, gibt es Perioden, in denen man einfach nur ein schlechter Freund ist. Ein wunderbar cleaner Pop-Song, der deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient hätte.
Stolz und 2000er Pop
Rina Sawayama hat in der zweiten Album-Hälfte immer wieder Passagen, in denen sie an Sängerinnen des 2000er Pop – wie Christina Aguilera – erinnert. In Who’s Gonna Save U Now?, einer weiteren Pop-Rock Nummer hört man die stimmlichen Parallelen vermutlich am deutlichsten.
Ihre Liebeserklärung an Tokio Tokyo Love Hotel ist sowohl aus Sicht der gebürtigen Japanerin als auch der nicht in der japanischen Hauptstadt lebenden Sawayama geschrieben. Ein Zugehörigkeits-Struggle, den sie nur schwer auflösen kann.
Sicherlich zugehörig und wohl fühlt sich Rina Sawayama in ihrer LGBTQ-Community: Mit Chosen Family widmet sie ihrer Familie auch gleich ein ganzes Lied, eine starke Power-Ballade mit umso stärkerer Aussage. Richtig verrückt wird es noch einmal im Closer Snakeskin – ein Song mit einem Mix aus all ihren verschiedenen Musikrichtungen.
Sawayama sollte man eine Chance geben, denn mit großer Wahrscheinlichkeit wird man schnell einem der unzähligen Ohrwürmer verfallen. Ein spannendes Projekt, einer spannenden Künstlerin, deren erster musikalischer Fußabdruck Lust auf mehr macht.
Früher Sängerknabe, heute zwischen Fußball, Football und viel Musik. Im Herzen immer Punker.